»Wir sind Lufthansa!«

Tausende an vielen Standorten im Warnstreik

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
»Wir sind Lufthansa!«

»Früher war man stolzer, ein Lufthanseat zu sein. Heut ist man nur noch Arbeiter in einem Konzern«, sagt Joachim Rademacher. Er arbeitet seit 22 Jahren am Flughafen Berlin-Schönefeld. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen steht er am Donnerstagmorgen vor dem Terminal in Berlin-Tegel, trägt die neongelbe Weste der Lufthansa Technik. »Wir müssen ständig beweisen wie effizient und gut wird sind, sonst wird mit Arbeitsplatzverlagerung gedroht«, sagt seine Kollegin, »und der Arbeitgeber stopft sich die Taschen voll«, ergänzt ein anderer.

Die Wut über die Lufthansa in den laufenden Tarifverhandlungen für die bundesweit rund 33 000 Beschäftigten ist groß. Am heutigen Freitag beginnt die zweite Verhandlungsrunde. »Wir hoffen, dass das Warnsignal bei den Arbeitgebern angekommen ist«, sagt ver.di-Vorstandsmitglied Christine Behle. Ein verhandlungsfähiges Angebot müsse auf den Tisch. Während ver.di 5,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt, Verbesserungen für Auszubildende und Arbeitsplatzgarantien fordert, legte die Lufthansa in der ersten Verhandlungsrunde Ende Februar ihr »Angebot« vor: Nullrunde bis 2015, eine Stunde Mehrarbeit, Einfrieren der Entgeltstufenerhöhungen. Für ver.di ist das ein Affront - und ein Gehaltsminus von 18 Prozent »in einem kerngesunden Unternehmen«, so ver.di-Sekretär Max Bitzer.

»Wir sind hier, weil wir uns solidarisch zeigen wollen. Wir sind ja schon weg«, sagt eine der Frauen, die mit Kolleginnen ein paar Meter weiter unter dem Vordach des Terminals steht. Sie arbeiten seit 22 Jahren bei der Lufthansa Revenue Services - der Ticketabrechnung und Buchhaltung. Der Standort in Berlin wird 2014 dicht gemacht, die letzten rund 60 langjährigen Beschäftigten verlieren dann ihren Job. Die Enttäuschung ist den Frauen anzumerken. Auch in Norderstedt bei Hamburg sollen Stellen wegfallen, die Abrechnung künftig in Polen und Indien erledigt werden. »Die polnischen Kolleginnen können ja nichts dafür, die müssen auch ihre Familien ernähren.« Es gehe darum, »dass sie uns alte Mitarbeiterinnen loswerden. Wir sind zu teuer«, sagt die Kollegin.

In Tegel fliegt am Donnerstagmorgen nichts, was den Kranich auf der Heckflosse trägt. Der Konzern hatte schon am Vortag die Inlandsflüge gestrichen. »Wir haben den Streik sehr früh angekündigt«, sagt eine ver.di-Sprecherin auf nd-Anfrage. Als die Beschäftigten früh am Morgen gemeinsam ins Terminal gehen, werden Flugblätter verteilt. »Wir entschuldigen uns für den Lufthansavorstand«, steht darauf. Passagiere sollten geschont und und klargestellt werden, dass die Beschäftigten keine andere Möglichkeit mehr sehen als Streik.

Lufthansa sei der einzige DAX-30-Konzern, bei dem es in den letzten Jahren nicht möglich war, ohne Arbeitskampf einen Tarifabschluss zu erreichen, sagt Markus Beyer, der in Frankfurt am Main als Purser (Kabinenchef) arbeitet. »Liegt das nun an den doofen Gewerkschaften oder an einem fundamentalistisch geführten Management?« Er sei froh und erstaunt über die hohe Streikbeteiligung, sagt Beyer. Er ist privat in Berlin, hat freie Tage, doch heute morgen mitzumachen sei für ihn »eine Selbstverständlichkeit«.

In Berlin sind statt der erwarteten 150 Beschäftigten fast 250 zur Kundgebung gekommen, in Frankfurt am Main waren es rund 2000, in Hamburg 4000. Zudem wurde in München, Düsseldorf, Norderstedt und Köln gestreikt, mit Beteiligungen zwischen 90 und 100 Prozent. Knapp 700 Flüge fielen nach Angaben von Lufthansa aus. Am Nachmittag normalisierte sich die Situation. Legen die Arbeitgeber kein Angebot vor, kann es jedoch sein, dass der Kranich bald erneut am Boden bleibt. »Wer uns nicht ernst nimmt, kriegt uns danach ernsthaft zu spüren«, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in Hamburg.

Am Ende, nach einer Kundgebung im Schneetreiben, ziehen die Lufthanseaten noch einmal durchs Tegeler Flughafengebäude »Wir sind Lufthansa!« skandieren sie erst verhalten, dann laut. Köpfe drehen sich, einige Fluggäste nicken, andere schütteln den Kopf, wieder andere haben den ersten Kaffee in der Hand und schlurfen mit einem Gesichtsausdruck zum Gate, als wüssten sie nicht wie ihnen geschieht.

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