Entwicklungsländer brauchen starken Schutz
Bettina Rudloff über die Freihandelsabkommen der Europäischen Union
nd: Trotz Wirtschafts- und Eurokrise will die Europäische Union die Verhandlungen mit den USA über eine transatlantische Freihandelszone beginnen. Zuletzt war mit Südkorea ein weitgehender Handelsvertrag geschlossen worden. Mit Japan und dem Asien-Aufsteiger Thailand haben Verhandlungen begonnen. Eine neue Strategie der EU?
Rudloff: Die neue Strategie erkennt man schon daran, dass es solche Verhandlungen überhaupt gibt. Der Wandel ist aber bereits 2006 passiert - also vor der Wirtschaftskrise. Seither gibt es einen neuen Schwerpunkt bei den EU-Handelsabkommen mit einer Strategie, die sie »Global Europe« nennen. Statt nur internationale »multilaterale« Freihandelsabkommen zu verfolgen, setzt man nun auf zweiseitige Verträge, insbesondere mit wirtschaftsstarken Partnern.
Zum Umdenken hat das offenkundige Scheitern der Welthandelsorganisation WTO beigetragen.
Nein, andersherum. Die WTO-Verhandlungen gerieten ins Stocken weil sich die politische Landschaft verändert hat: aufstrebende Schwellenländer, Brasilien voran, die verständlicherweise und selbstbewusst stärkeren Marktzugang und gleichzeitig eigenen Schutz forderten. Das schwächte die bisherige Vorherrschaft der alten Wirtschaftsmächte USA und Europa. Man konnte sich dann in der WTO nicht mehr einigen.
Die EU hat mit den meisten Ländern weltweit Handelsabkommen geschlossen: Die Liste reicht von Ägypten über Algerien und Israel, vom Kosovo bis Libyen und Chile und sogar Syrien. Ursprünglich konzentrierte sich die Union dabei auf Entwicklungsländer und Beitrittskandidaten, zunehmend verhandelt sie mit wirtschaftsstarken Ländern. Für die rund 150 Entwicklungsländer hat die EU einseitig bestimmte Handelshemmnisse abgeschafft (»Präferenzen«). Die Palette der Erleichterungen reicht von der Zollverringerung oder -befreiung einzelner Agrarprodukte bis zum weitgehenden Freihandels- oder Assoziierungsabkommen mit Chile, Mexiko und der Schweiz. Ein sehr weitgehendes Abkommen wurde 2011 mit Südkorea abgeschlossen. Im Vorjahr wurden umfassende Verträge mit Singapur, Kolumbien und Peru vereinbart. Verhandlungen mit Japan und Thailand haben begonnen.
Neben den reinen Handelsabkommen gibt es Investitionsschutzabkommen. Sie sichern Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen gegen Einschränkungen und Enteignungen im Land der Investition. Dabei geht es häufig um Rohstoffe. Traditionell wurden solche Abkommen meist als bilaterale abgeschlossen. Mit dem Vertrag von Lissabon 2007 ist die Kompetenz für ausländische Direktinvestitionen jedoch von den Mitgliedstaaten auf die EU übergegangen. Die Europäische Union hat rund 2000 Investitionsschutzabkommen abgeschlossenen. Trotzdem unterhält die Bundesrepublik eigene »Rohstoffpartnerschaften« mit der Mongolei (seit 2011) und Kasachstan (2012). Weitere Abkommen werden in Berlin geplant. hape
Auch zweiseitige, bilaterale Abkommen stoßen auf Hindernisse.
Generell ja, aber es kommt auch auf die Partner an. Mit Südkorea klappte offensichtlich eine Einigung. Mit den USA aber gibt es große sensible Bereiche. Ein Klassiker ist der Agrar- und Nahrungsmittelbereich, wo es gerade im nichttarifären Bereich erhebliche Unterschiede gibt. Denken wir an gentechnisch veränderte Nahrungsmittel, die in der EU quasi nicht zugelassen sind. Gleiches gilt für mit Chlor behandeltes Hühner- und für Hormonfleisch. Was alles in den USA erlaubt ist. Problematisch sind auch öffentliche Aufträge. Die sind in den US-Bundesstaaten kaum für Ausländer zugänglich. Es gibt also große Felder, auf denen es ganz schwierig wird. In Japan dagegen gibt es eine der EU ähnliche Agrarpolitik.
Konservative Republikaner lehnen Freihandel als Jobkiller ab. In der EU befürchten linke Politiker, dass noch mehr Freihandel den ohnehin schwächelnden Volkswirtschaften schadet.
Selbstverständlich besteht auch ein Verdrängungsrisiko. Das sehen wir ja dort, wo wir noch größere wirtschaftliche Unterschiede haben, Stichwort Entwicklungsländer. Da ist der Freihandelsgewinn dann eher gering. Abkommen sind auch innerhalb der EU immer ein Risiko. Aber da es dieses Risiko gibt, gibt es auch Schutzmechanismen - die wiederum von sehr Marktradikalen abgelehnt werden. Seit der internationalen Wirtschaftskrise gingen die meisten der neuen handelspolitischen Maßnahmen von EU-Mitgliedstaaten aus und wirken eher indirekt handelspolitisch, staatliche Beihilfen für Banken etwa oder sektoraler Schutz für die maritime Wirtschaft.
Die EU hat mit mehr als 150 ärmeren Ländern kleinere »Präferenzregelungen« getroffen.
Die EU hat aufgrund der kolonialen Vergangenheit spezielle Abkommen mit einigen Entwicklungsländern, am Mittelmeer, in Afrika, in der Karibik, im Pazifik. Das Problem für diese Länder ist nun: Je mehr sich die EU für starke Partner öffnet, desto stärker verlieren sich die Vorteile aus gewährten Zugangserleichterungen für sie selber.
Können denn bilaterale Beziehungen überhaupt immer zu beiderseitigem Nutzen ausgebaut werden?
Vor allem die wirtschaftsschwachen Staaten verlieren, je mehr sich die Großen zusammentun. Einen Gegenpol könnten die aufstrebenden Länder wie Brasilien bilden, die selbstbewusst darauf hinweisen, dass es auch andere Akteure mit anderen Interessen gibt.
Bei Investitionsabkommen - dabei geht es oft um Rohstoffe - sehen Sie einen anderen Trend, weg vom Nationalstaat, hin zur EU.
Bis zum Lissabon-Vertrag haben die einzelnen EU-Mitgliedstaaten 2000 bilaterale Investitionsabkommen geschlossen. Zukünftig aber dürfen nur noch EU-weite Verträge geschlossen werden. Doch gibt es noch kein Modell für solche Abkommen: Wo wollen wir damit eigentlich hin?
Zu den Rohstoffen.
Meiner Meinung nach weichen aktuelle Rohstoffabkommen vom EU-Weg ab: Deutschland hat zweiseitige mit der Mongolei, Kasachstan und Chile geschlossen, die EU immerhin mit Grönland. Damit sichert man sich Rechte für Investitionen, Probebohrungen und den Abbau von Rohstoffen. Die Verträge werden im Regelfall ganz stark von den Investorinteressen dominiert. Gerade für schwache Entwicklungsländer ist das ein großes Problem. Die bräuchten eigentlich einen starken Schutz für ihre eigene Volkswirtschaften, um notfalls in kritischen Situation zu sagen: Ich brauche im Moment die Nahrungsmittel und die Rohstoffe selber.
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