Auf Waffenschau in »Tanners Sports Shop and Gun Center«
Wie man sich in den USA mit einem halbautomatischen Gewehr ausrüstet
Der New Yorker Garry James kann New York nicht ausstehen. Denn sowohl im Bundesstaat wie in seiner größten Stadt, die beide den gleichen Namen tragen, sind militärische Sturmgewehre verboten. Nicht nur das – auch Magazine mit mehr als sieben Schuss wurden Mitte Januar vom Parlament und vom Gouverneur für illegal erklärt. In New York herrschen seither die strengsten Waffengesetze in den USA.
Tatsächlich war es schon vorher für normal Sterbliche in New York City schwer, sich auf legalem Weg eine Waffe zu besorgen. Dafür sorgten nicht zuletzt die Polizei und der Bürgermeister. Über die Verschärfung der Gesetze ist der 45-jährige Garry James sauer. Seiner Meinung nach müssten »als Reaktion auf das Schulmassaker bewaffnete Wächter vor jeder Schule aufgestellt werden, um die Kinder vor Eindringlingen zu schützen, auch in New York«.
Aber Garry James hat weder Kinder noch ist er Lehrer oder Schulleiter, sondern er hat den banalen Beruf eines Versicherungsangestellten – und einen Waffenschein. So einen in New York zu bekommen, erfordert ein sauberes Strafregister, die ärztliche Bescheinigung der Zurechnungsfähigkeit und Geduld. Bei James traf das alles zu. Vor gut einem Jahrzehnt bekam er nach einer Sicherheitsüberprüfung, die Fingerabdrücke einschloss, und einer Wartezeit von ein paar Wochen einen Schein. Inzwischen ist er stolzer Besitzer dreier Pistolen, zweier Gewehre und eines halbautomatischen Sturmgewehrs. Ungefähr einmal wöchentlich öffnet er seinen Waffenschrank im Keller und verstaut ein paar seiner Lieblinge im Kofferraum. Dann geht es zum Schießstand. Weshalb er das tut? »Selbstverteidigung.« Vor wem und gegen wen? »You never know.« Kann man's wissen?
Meine Idee, mir im Nachbarstaat Pennsylvania mit seinen laxeren Waffengesetzen ein militärisches Sturmgewehr zu besorgen, begeistert Garry. Umso mehr, als ich ihn einlade mitzukommen. Er kenne da einen prima Waffenshop mit angeschlossenem Schießstand.
Pennsylvania liegt keine zwei Fahrstunden auf dem Highway westlich von New York. Garry, der US-Bürger, soll mir, der ich nur eine Greencard besitze, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Ausländer, beim Erwerb einer Bushmaster AR-15 helfen. Das ist das Killerinstrument, mit dem Amokläufer in den letzten Jahren Dutzende von Menschen niedergemetzelt haben. Ist es in den USA wirklich möglich, sich eine Massenvernichtungswaffe zuzulegen – so einfach wie eine Waschmaschine oder einen Kuchen?
Eindreiviertel Stunden später betreten wir »Tanners Sports Shop and Gun Center«. Der mittelgroße Familienbetrieb ist laut Garry die Anlaufstelle für Waffenfans im Umkreis von 100 Kilometern. Auf den ersten Blick handelt es sich tatsächlich um ein Fachgeschäft für Jäger: ein ausladendes Hirschgeweih, allerlei Anglergerät, Tarnkleidung und Ferngläser. Aber für einen Dienstagnachmittag herrscht in einem solchen Laden ziemlich viel Gedränge. Angelköder interessieren hier niemanden – wie mich und Garry zieht es alle zu den Schießprügeln und der heißeren Ware. Es geht zu wie in einem Bienenstock. Acht Verkäufer sind in Kundengespräche vertieft. Sie holen Pistolen und Gewehre von der Ausstellungswand hinter der Ladentheke und reichen sie interessierten Kunden. Vor Regalen voller schusssicherer Westen fachsimpeln zwei blonde Bartträger über Pistolenhalfter.
Nach 10 Minuten sind Garry und ich an der Reihe. Aber die Bushmaster AR-15 ist ausverkauft, »seit Wochen«, wie unser Verkäufer mit Bedauern sagt. Das war allerdings zu erwarten. Denn die halbautomatische Waffe ist »America›s most wanted gun‹«. So stand es Anfang Februar in der »New York Times« in einem ganzseitigen Artikel zu lesen. Die AR-15 ist im »military style« gebaut und wird laut unserem Verkäufer »zu 90 Prozent von jungen Schützen nachgefragt«.
Die private Aufrüstung nahm in den Tagen und Wochen nach dem jüngsten Massaker an der Sandy-Hook-Schule in Newton (Connecticut) drastisch zu. Beim US-Zentralregister, das vorgeschriebene Überprüfungen von potenziellen Waffenkäufern vornimmt, gab es 2,8 Millionen Anfragen. Das waren fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Der Trend ist ungebrochen. Solange Washington über die Verschärfung der Waffengesetze weiter debattiert, geht die Aufrüstung weiter.
Was Liebhaber halbautomatischer Waffen daran schätzen, ist die legendäre Schnelligkeit der Bushmaster. Eine Klasse unterhalb einer Maschinenpistole eingestuft, erfordert die AR-15 das einfache Abziehen – einmal abziehen, ein Schuss. Nachladen ist nicht notwendig, bis zu 100 Schuss. Genau das machte die grausige Erfolgsquote der Attentäter der jüngsten Zeit aus. Sie wussten um die unerhört schnelle Tötungsfrequenz der AR-15. Deshalb besorgten sie sich eine. In Newton fielen dem Massaker 28 Menschen zum Opfer.
Ansichtsexemplare der Bushmaster hat »Tanners Sports Shop and Gun Center« trotz Nachschubengpässen selbstverständlich auf Lager. Der Verkäufer reicht mir eine und erklärt, wie man sie hält, wie man visiert und wie man abdrückt. Das Exemplar ist freilich munitionslos. Die AR-15 liegt überraschend leicht in der Hand. Ihr dunkler Militär-Teint wirkt – ja – sexy. Es macht, ehrlich gesagt, Spaß, die Killermaschine in der Hand zu halten und an die Wange zu drücken. »Macht!« sagt mein Bekannter Garry, während er meinen Gesichtsausdruck studiert. Für mich ist es wohl eher das Kribbeln beim Erleben des Unbekannten, das Durchbrechen eines Tabus, das hier niemand für ein Tabu hält.
Um die Rolle des neuen Waffenfans, der ein Sturmgewehr erwerben will, weiterzuspielen, lasse ich mich auf die Warteliste für eine AR-15 setzen. »Vier, fünf Wochen« werde es dauern, peilt einer über den Daumen. Der Preis für ein Sturmgewehr zur Zeit: rund 2000 Dollar. So viel Geld lässt sich von meiner Kreditkarte abbuchen. Fehlt nur noch die Überprüfung meiner Personalien und meines Personenstands. Doch der Verkäufer gibt mir nach ein paar Minuten meine Greencard mit Bedauern wieder zurück. Da ich in New Jersey lebe und gemeldet bin, muss ich von Staats wegen einen Waffenschein vorweisen, der vom Staat New Jersey ausgestellt wurde. Den habe ich nicht.
Aber an dieser Stelle springt mein Bekannter Garry James ein. Denn er hat einen Waffenschein für den Staat, in dem er lebt, nämlich New York. Der Deal, der sich daraus ergibt, ist folgender: Garry lässt die Sicherheitsüberprüfung, die er innerhalb von Sekunden besteht, über sich ergehen. Ich zahle mit meiner Kreditkarte die AR-15. Wir werden das Tötungsgerät in ein paar Wochen in meinem Auto abholen. Und er wird mir die Massenvernichtungswaffe, für die ich legal bezahlt habe, überlassen.
Aber diese Überlegungen werfen wir schnell über den Haufen, weil es eine einfachere Alternative gibt: die nächste »gun show«. Auf solchen Waffenmessen entfällt die obligatorische Überprüfung des Käufers. Es ist alles ganz legal: So werden 40 Prozent der privaten Waffenkäufe in den USA abgewickelt.
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