Mediziner als Provisorien
Diskriminierende Sparpolitik schon in der Ärzteausbildung
Seit Monaten streiken Krankenhaus-ärzte für verbesserte Arbeitsbedingungen - ohne Erfolg. Stattdessen will die Bundesregierung das Arbeitszeitgesetz ein Jahr später als geplant umsetzen, die kommunalen Arbeitgeber verweigern sich Tarifverhandlungen. Von heute an wird es deshalb »verschärfte Arbeitskampfmaßnahmen in Krankenhäusern und Kliniken geben«, kündigte der Marburger an.
Die Arbeitsverhältnisse der Klinik-Ärzte lassen sich am ehesten als »provisorisch« beschreiben. Die Charité Berlin ist hierfür ein gutes Beispiel. Mehr als 90 Prozent der Ärzte des Klinikums arbeiten mittlerweile mit Zeitverträgen, die einen Monat bis drei Jahre laufen.Wer ausgelaugt ist, geht!
Ist der Arzt nach Auslauf des Kontraktes noch rentabel, erhält er einen neuen Vertrag. Ansonsten wird er entlassen. Alle Beschäftigten, die befristete Anstellungen besitzen, bekommen nach Auslauf ab sofort neue Verträge mit schlechteren Konditionen. Die Gehälter werden mit fortschreitenden Berufsjahren nicht mehr angehoben. Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden gestrichen. Die 38,5 Stunden Woche wurde bei Lohneinbußen von zehn Prozent auf 40 Stunden pro Woche erhöht, wobei 80 Stunden auf vielen Stationen in Deutschland der Realität entsprechen. Was ein solches Arbeitspensum etwa für die Arbeitsqualität eines Chirurgen bedeutet, kann man sich ausmalen. 260 der 1300 noch in diesem Jahr auslaufenden Charitéverträge sollen laut Unternehmenskonzept nicht verlängert werden. Es wird zu Lasten von Patienten und Ärzten massiv gekürzt. Ein Folge dieser Politik war eine halbseitige Anzeige im deutschen Ärzteblatt, in der sich 270 Ärzte der Charité in ungekündigter Stellung auch für Stellen im Ausland bewarben. Es wird gekürzt, obwohl in Mittel- und Ostdeutschland bereits jetzt zu wenige Ärzte für die Grundversorgung zur Verfügung stehen. 40 Prozent der Medizinstudenten gaben nach Auskunft des Centrums für Krankenhausmanagement (CKM) an, wegen dieser Umstände nach dem Examen nicht in einer Klinik arbeiten zu wollen.
Doch die dezimierende Sparpolitik greift nicht erst im Berufsleben des Arztes. Ein künftiger Versorgungsnotstand wird schon im Studium provoziert. Die Charité fusionierte 2003 mit dem Benjamin Franklin Klinikum nach vorhergehendem Zusammenschluss mit dem Universitätsklinikum Rudolf Virchow (1997-1998) zur »Charité - Universitätsmedizin Berlin«.
Weniger Lohn, mehr Arbeit
Dieser Fusion gingen starke Einschnitte in der Bildung voraus. Vor 1993 standen 1100 Medizinstudienplätze und 270 Zahnmedizinstudienplätze pro Jahr zur Verfügung. Diese wurden im Rahmen des Hochschulstrukturplanes (1993) und des Universitätsmedizingesetzes (1995) auf 600 Studienplätze in der Medizin und 80 Plätze in der Zahnmedizin pro Jahr für das erste Fachsemester dezimiert. Es konnten somit bis 2001 Ausgaben von 205 Millionen Euro eingespart werden. Eine schwindende Zahl an Ärzten, dezimiert durch Berufs- und Bildungspolitik, muss für insgesamt weniger Lohn die Grundversorgung sichern. Sicherlich sind die finanziellen Möglichkeiten eingeschränkt. Dies legitimiert aber nicht Ignoranz gegenüber den Auswirkungen dieser Maßnahmen. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Berliner Klinken etwa müssen wegen der Haushaltsmisere bis 2010 jährlich 35 Millionen Euro einsparen. Folge: Weitere Tausende Stellen und Studienplätze werden abgebaut, was sich in der Lehre und der Betreuung der Patienten schmerzhaft bemerkbar machen wird. Die eingeschlagenen Sparkurse der Kliniken und Regierungen dienen nur der Symptombehandlung der Notstände im Gesundheitssystem. Die Ursachen bleiben unang...
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