Luftballons aus Männerhand
Immer mehr Männer arbeiten in Kitas - und sind dort nicht nur fürs Toben zuständig
Bis vor einigen Monaten stand Daniel Mauksch auf der Leiter und schwang die Bürste. Der 33-Jährige ist gelernter Maler. Sein halbes Leben lang hat er Wände bunt gestrichen und Tapeten geklebt. Bis zum Polier hatte er es gebracht. Mit viel Elan stieg er morgens dennoch nicht mehr aus dem Bett. Auf ihn warteten immer nur neue Wände und auch wenn die Moden in der Innenarchitektur wechseln: Farbe bleibt am Ende doch Farbe. »Die Leidenschaft für die Arbeit«, sagt Mauksch, »hat gefehlt.«
Bei seiner neuen Arbeit weiß Mauksch morgens nie, was ihn erwartet: ob er beim Bau eines Raumschiffs aus Papprollen helfen oder eine improvisierte Hochzeit ausrichten muss, ob er Nasen putzen oder Tränen trocknen soll, ob gekocht oder gekickt wird. Mauksch ist Kindergärtner - besser: Er will es werden. Der Ex-Handwerker absolviert ein Programm für Quereinsteiger. Wenn er nach knapp sechs Monaten immer noch seinen neuen Berufswunsch hegt und die Kolleginnen ihn für geeignet halten, beginnt er eine vierjährige berufsbegleitende Ausbildung. Mauksch ist zuversichtlich, dass er durchhält: Die neue Arbeit sei »anstrengend«, sagt er, »aber auch unglaublich abwechslungsreich«.
Skeptische Väter
Männer, die in Kitas arbeiten - das ist in Deutschland noch immer die Ausnahme. Nur 11 288 männliche Fachkräfte gab es 2011 zwischen Nord- und Bodensee, ein Anteil von mageren 2,9 Prozent. Dabei schwankt die Quote stark. In Flensburg ist bereits jeder neunte Beschäftigte in den Kitas ein Mann; in Dresden, wo Mauksch einmal arbeiten will, sind es 6,5 Prozent: Auf 15 Frauen kommt hier ein Mann.
In Ländern wie Bayern und Sachsen-Anhalt dagegen muss man Männer in den Kitas suchen; ihr Anteil liegt bei 1,4 bzw. gar nur 1,12 Prozent. Ob nun freilich ein Zehntelprozent mehr oder weniger: Kitas gelten in Deutschland noch immer als weibliche Domäne. Die Dominanz eines Geschlechts ist so stark wie nur in wenigen anderen Berufsfeldern. Nicht zufällig findet im Juni in Dresden eine Tagung statt, in der es um Männer in der Kita geht - und Frauen in der Armee.
Während freilich mit Recht gefragt werden darf, ob tatsächlich auch noch Frauen zum Gewehr greifen müssen, liegt die Antwort im Fall der männlichen Kita-Erzieher auf der Hand. »Es ist gut für die Kinder, es ist gut für die Teams, und es gefällt den Eltern«, sagt Hagen Kneuß. Er ist Regionalbetreuer bei der Thüringer Sozialakademie, einem freien Träger, der allein in Sachsen sieben Kitas mit rund 800 Kindern und 130 Mitarbeitern betreibt. In jeder der Einrichtungen sind mindestens zwei Männer tätig. In manchen Häusern sind es sogar schon 40 Prozent.
Die Kinder, sagt Kneuß, erfahren auf diese Weise mehr Vielfalt in ihrem Alltag: »Es ist wichtig, dass sie beide Geschlechter erleben.« Im derzeitigen Bildungssystem ist die Chance noch groß, dass sie bis zur Grundschule ausschließlich Frauen als Bezugspersonen kennen lernen und in der fünften Klasse auf den ersten männlichen Lehrer treffen. Nicht zuletzt für Jungen, die mit alleinerziehenden Müttern aufwachsen, kann das Unsicherheiten bei der »Sozialisation von Männlichkeit« nach sich ziehen. Arbeiten in der Kita dagegen auch Männer, erleben die Kinder andere Verhaltensweisen - wobei es nicht darum geht, Klischees zu bedienen: »Männer sind nicht nur für Werkbank, Toben und Fußball zuständig«, betont Kneuß: »Sie können genauso gut kuscheln, singen und trösten.«
Auch der Arbeitsatmosphäre ist es zuträglich, wenn die Kollektive gemischter sind und in den Kitas nicht nur Frauen arbeiten - zum Beispiel, weil männliche Kollegen Probleme manchmal »zielorientierter« bearbeiteten, formuliert Kneuß. Väter wiederum neigten dazu, sich stärker in den Kita-Alltag einbeziehen zu lassen und dafür zu interessieren, wenn es einen Mann als Ansprechpartner gibt. Allerdings sind es häufig auch die Väter, die Skepsis äußern, wenn sie erfahren, dass ihre kleine Tochter von einem Mann gewickelt wird. Es gehört zu den wenigen Schattenseiten des Themas, dass die Frage von sexuellem Missbrauch in Kitas virulent wird, sobald dort Männer arbeiten. Die Rede ist von einem unausgesprochenen »Generalverdacht«, mit dem umzugehen die männlichen Erzieher stärker als ihre Kolleginnen lernen müssen.
Befristetes Modellprojekt
Dessen ungeachtet plädiert nicht nur Kneuß vehement dafür, Männer stärker in pädagogische Berufe einzubeziehen - auch und vor allem in Kitas. Diese sollten, sagt Matthias Kretschmer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Sachsen, als Orte frühkindlicher Bildung »so vielfältig wie möglich« sein, »schließlich lernen Kinder vor allem durch Abgucken«. Damit sie auch von Männern lernen können, fördern der Bund und der Europäische Sozialfonds derzeit Projekte in der gesamten Bundesrepublik. Die von Kretschmer geleitete Initiative in Sachsen, an der auch die Volkssolidarität beteiligt ist, widmet sich dem Erzgebirge, einer ländlichen Region, in der männliche Erzieher noch nicht so selbstverständlich sind wie in Dresden oder Leipzig.
Insgesamt 16 solcher Modellprojekte in 13 Bundesländern gibt es, 1300 Kitas sind beteiligt. Immerhin 1,3 Millionen Euro stellen Bund und EU zur Verfügung. Die Ideen dazu, wie mehr Männer in Kitas gelockt werden können, sind sehr unterschiedlich; sie reichen von Praktika für Schüler über Freiwilligendienste bis zu Mentorenprogrammen. Im Erzgebirge wird seit kurzem auf Bussen um männliche Schulabgänger geworben, auch Filme auf Youtube und eine spezielle Facebook-Seite gibt es. Zudem wird bei Ausbildungsmessen oder Tagen der offenen Tür männlichen Interessenten der Erzieherberuf nahegebracht.
Welche Ideen es außerdem gibt, soll heute bei einem bundesweiten Aktionstag vorgestellt werden. Symbolträchtiges Zeichen werden bunte Luftballons sein, die an verschiedenen Orten in die Luft aufsteigen. Diese Aktion solle »sinnbildlich für die Erhöhung des Männeranteils« in den Kitas stehen, heißt es bei der bundesweiten Koordinierungsstelle. Allerdings ist sie wohl auch in anderer Hinsicht ein unfreiwilliges Sinnbild: dafür, dass viele Erfahrungen aus den Projekten demnächst vom Wind verweht werden dürften. Schließlich ist das Modellprojekt auf drei Jahre befristet, im Dezember 2013 läuft es aus. Eine Fortführung ist bisher nicht in Sicht. Ob es dann noch spezielle Werbung um Berufsanfänger gibt, ob weiter an einer Anpassung der Ausbildungswege gearbeitet wird und ob die Arbeitskreise fortbestehen, in denen sich die männlichen Erzieher über ihre speziellen Probleme austauschen können, ist offen.
Vorurteile werden seltener
Einzige Hoffnung der Beteiligten ist, dass sich Einsichten über den Nutzen von und den Bedarf an männlichen Erziehern in den Köpfen festgesetzt haben. Die Männer immerhin sind schon wach geworden: Bei Kretschmer haben bereits über 150 Interessenten angerufen, die ihre Berufe an den Nagel hängen und gern in einer Kita arbeiten wollen. Darunter sind Juristen, Zahntechniker und Tischler. Manche haben ihr bisheriges unstetes Arbeitsleben satt, andere haben, wie Daniel Mauksch, im Umgang mit den eigenen Kindern Lust auf den Berufswechsel bekommen. Mit Vorurteilen haben sie immer seltener zu kämpfen - auch wenn, wie Mauksch einräumt, sein neuer Beruf am Stammtisch »nicht so das Brüllerthema war«.
Leicht wird der Umstieg auf keinen Fall: Die vierjährige Ausbildung neben der Arbeit sei eine »Ochsentour«, wie Kretschmer formuliert. Wenn Daniel Mauksch sie abgeschlossen hat, wird er zudem deutlich weniger verdienen als auf der Malerleiter. »Die Entlohnung steht in keinem Verhältnis zur Leistung«, sagt er - ein Umstand, der ironischerweise erst verstärkt diskutiert wird, seit es darum geht, Männer für den Beruf zu begeistern. Allerdings betont Mauksch auch, dass Geld führ ihn nicht das Entscheidende ist. Seine Hoffnung lautet vielmehr: Das Leben mit Kindern ist bunter als das mit Farbeimern.
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