Schockstrategie in Griechenland
In Berlin berichtete die Schulleiterin Alexandra Ioannidou, wie sich die Krise auf das Bildungssystem auswirkt
Nur knapp ein Dutzend Zuhörerkamen am Montagabend ins Büro der Berliner GEW zum Vortrag der Athener Pädagogin Alexandra Ioannidou. Er hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn Ioannidou beschrieb sehr anschaulich die Folgen der Troika-Programme für das griechische Bildungssystem.
»Was sich in den vergangenen Monaten abspielt, könnte durchaus die ›Chronik eines angekündigten Todes‹ genannt werden«, erklärte die Referentin. Der Anteil der Bildungsausgaben sei in den vergangenen drei Jahren von drei auf 2,3 Prozent des Bruttosozialprodukts zurückgegangen.
Die Folgen sind erschreckend: Klassenräume, die für maximal 30 Kinder ausgestattet sind, werden von bis zu 40 Schülern belegt. Viele Fächer fallen ganz aus, weil die Lehrer fehlen. In einer Gegend im Norden Griechenlands mussten während der Wintermonate sogar die Schulen schließen, weil kein Geld für Heizöl da war. Zudem haben Schüler aus abgelegenen Dörfern oft keine Möglichkeit mehr, die Schule zu besuchen, da die Kommunen die Bustransporte abgeschafft haben. Selbst der Hunger hat wieder Einzug gehalten. Betroffen sind vor allem Bildungseinrichtungen in ärmeren Stadtteilen der Großstädte.
Die ersten Meldungen über Schüler, die ohne Frühstück zum Unterricht kommen und sogar ohnmächtig werden, habe die Regierung noch damit kommentiert, das sei linke Propaganda. Doch nachdem sich die Vorfälle häuften, habe sie einräumen müssen, dass die Angaben den Tatsachen entsprechen. Mittlerweile werde an bestimmten Schulen Essen ausgegeben.
Etwas besser sei die Lage für die Menschen, die auf dem Land wohnen, da sie selber Nahrungsmittel anbauen könnten. Viele, die in den Städten ihre Arbeit verloren, sind deshalb wieder aufs Land gezogen. Für ihre Kinder bedeutet das oft den Schulabbruch, der in den vergangenen Jahren stark zugenommen habe. Junge Leute ohne Geld und Perspektive verlassen die Schule ohne Abschluss, um als Kellner oder Taxifahrer wenigstens etwas Geld zu verdienen. Andere sehen ihre Zukunft nicht mehr in Griechenland. Sie hoffen in den EU-Ländern, vor allem in Deutschland, auf eine besser bezahlte Arbeit.
Neben der desolaten sozialen Situation macht Ioannidou besonders der Aufstieg der Partei »Goldene Morgenröte« Sorgen. Selbst in Schülerverwaltungen hätten die Neofaschisten, die aus ihrer Begeisterung für Hitler keinen Hehl machen, ihren Einfluss ausgebaut. Viele Lehrer seien verunsichert, wie sie mit deren wachsender Unterstützung unter den Jugendlichen umgehen sollen. Für zusätzliche Unruhe bei den Lehrern sorgt ein Gesetz, nach dem Beamte suspendiert werden, wenn gegen sie juristisch ermittelt wird. Wird keine Anklage erhoben, können sie wieder in ihren Beruf zurück, doch das kann Jahre dauern. So wurde eine Lehrerin vom Dienst suspendiert, die von einem Mitglied der Neofaschisten angezeigt wurde, weil albanische Kinder Flaggen ihres Heimatlandes im Unterricht gezeichnet hatten.
Ioannidou spricht in Bezug auf die Zerstörung des griechischen Bildungswesens von einer »Schockstrategie«, mit der letztlich die bei reichen Eltern immer beliebteren Privatschulen etabliert würden. Sie bezieht sich dabei auf den gleichnamigen Bestseller der globalisierungskritischen Publizistin Naomi Klein, der beschreibt, wie ein Katastrophen-Kapitalismus ganze Länder dem Neoliberalismus unterworfen hat. Hört man Ioannidou zu, wird deutlich, dass sich dieses Szenario in Griechenland dieser Tage wiederholt - nicht nur im Bildungswesen.
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