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Die meisten haben sie
Was haben sieben Jahre Protest gegen die elektronische Gesundheitskarte gebracht? Eine Zwischenbilanz
Bis Ende letzten Jahren sollen 70 Prozent der Versicherten in den gesetzlichen Krankenkassen eine neue elektronische Gesundheitskarte (eGK) erhalten haben. Schon seit dem 1. Januar 2006 hätte es sie geben sollen. Seit nun sieben Jahren kämpfen verschiedene Organisationen einzeln und in einem breiten Bündnis gegen diese Einführung. War dies vergeblich oder gibt es noch Chancen?
Die »kleine schlaue Karte« soll es dereinst mal ermöglichen, die Gesundheitsdaten in einem Netz auf Servern zu speichern, die von überall zugänglich sind. In diesen Daten stecken sehr persönliche Informationen. Und Interesse an diesen Daten haben viele. Zugleich ist diese Karte aber auch Instrument, um das Gesundheitssystem umzubauen und eine größere Kontrolle über die Behandlung von Patienten zu erlangen. Längst wird uns ja schon eingeredet, Krankheiten hätten wieder etwas mit Schuld zu tun. Zugleich wird Gesundheit eine Ware, an der Konzerne gut verdienen können.
Die Gegner der eGK haben in den vielen Jahren, in denen das Projekt vor allem aus technischen Gründen nicht zustande kam, viele Protestformen ausprobiert. Es wurden Unterschriften gesammelt und öffentlich übergeben. Alljährlich hat sich eine Mehrheit auf den Ärztetagen gegen die Einführung der eGK ausgesprochen. Die Versicherten wurden aufgefordert, den Krankenkassen aus Protest gegen die elektronische Gesundheitskarte ihr Foto nicht zur Verfügung zu stellen. Dem Aufruf sind einige gefolgt und haben noch immer ihre alte Karte. Andere haben sich jedoch von der aggressiven Werbung durch die Krankenkassen und dem erzeugten Druck verständliche Angst einjagen lassen.
Weit mehr als die alte
Die neue Karte, die nun ausgegeben wurde, verfügt bisher nur über dieselben Funktionen wie die alte Krankenkassenkarte. Sie kostet aber ein Mehrfaches. Schlimmer aber ist, dass die weiteren Funktionen, von den Patienten unbemerkt, sukzessive eingeführt werden. Man soll sich daran gewöhnen, dass die »administrativen« Daten online mit der Krankenkasse abgeglichen werden. Dass zu diesen Daten auch Informationen über bestimmte Krankheiten gehören, wird meist verschwiegen. Dann werden wir damit geködert werden, dass die Speicherung von Notfalldaten Leben retten könnte. Dass jeder wichtige Informationen lesbar bei sich tragen kann, wird dann verheimlicht werden. Und wenn schließlich die elektronische Patientenakte eingeführt wird, der der Versicherte nach der jetzigen Gesetzeslage explizit zustimmen muss, dann – so hoffen die Protagonisten dieses Projekts – werden wir uns schon so daran gewöhnt haben, dass wir zustimmen.
Alle Proteste haben bisher nur einen kleinen Kreis erreicht. Die Veränderungen sind ja auch kaum spürbar. Auch das Sozialgericht Düsseldorf ließ sich davon beeindrucken, dass gegenwärtig keine zentralen Datenspeicherungen angelegt werden. Es wies deshalb die Klage eines Versicherten ab. Berufung ist eingelegt. Der Anwalt hofft letztlich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Weitere Klagen sind auf den Weg gebracht. Andere stehen dem Rechtsweg skeptischer gegenüber. Viele befürchten zwar, dass die Freiwilligkeit der Speicherung einer Patientenakte im Gesetz gestrichen wird, wenn zu viele Patienten dem nicht zustimmen, aber noch können sich die Gerichte auf diese Freiwilligkeit berufen. Sie müssten schon den gesamten, schwer durchschaubaren Prozess in den Blick nehmen, um die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu erkennen. Sicherlich wird die mühsame Aufklärungsarbeit weiterhin wichtig sein.
Eine neue Kasse aufbauen?
Gesundheitsdaten sind vom Arztgeheimnis geschützt und gehören in die Arztpraxis meines Vertrauens. Alle Patienten sollten die Zustimmung zur Speicherung verweigern. Ein Heilungsprozess wird auch vom Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient getragen. Ärzte, die immer weniger den einzelnen Patienten wahrnehmen, sondern nach vorgefertigten Mustern behandeln (müssen), können aber mein Vertrauen nicht haben. Und so stellt sich auch die Frage, ob man nicht eine eigene (gesetzliche) Krankenkasse mit Ärzten, Angehörigen der Heilberufe und Patienten aufbauen müsste, in der die individuelle Gesundheit wieder im Zentrum steht. Ein überdimensioniertes Projekt, aber eines, das auf viel Interesse stößen könnte.
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