Oase der Integration

Ein Neuköllner Projekt zeigt, wie menschenwürdige Zuwanderung funktionieren kann

  • Verena Mörath
  • Lesedauer: 3 Min.

Harzer Straße, Berlin-Neukölln: Was heute wie eine einladende Oase im grauen Quartier anmutet, war noch 2011 ein schäbiges Mietshaus. Auf engstem Raum hausten hier rund 500 Roma. Kinder spielten barfuß im Müll, Ratten trieben ihr Unwesen. Heute begrenzen saubere Fassaden den großräumigen Innenhof. Auf den Wänden erzählt ein farbenfrohes Bild die Geschichte der 90 rumänischen Familien, die vor rund vier Jahren hierher kamen.

Die Wende zum Guten kam mit Benjamin Marx. Er kaufte das Haus im Auftrag der Aachener Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft aus Köln, die zu 100 Prozent der katholischen Kirche gehört. Der Projektleiter entrümpelte mit seinem Team im Mai 2011 den Innenhof. Helfer und Bewohner verjagten die Ratten, setzten das Haus notdürftig instand. Im September 2012 war die umfangreiche Sanierung abgeschlossen. Marx ließ im Hof ein Festzelt aufbauen und hielt mit Hilfe von Dolmetschern Mietersprechstunden ab: »Für alle Beteiligten war das Neuland. Es war verboten, das Wort ›Problem‹ auszusprechen, es gab nur ›Aufgaben‹ zu lösen.«

In den 137 Wohnungen des Komplexes leben heute nicht nur Roma. »Wenn eine Wohnung frei wird, vermieten wir nicht mehr nur an diese Gruppe, wir wollen kein Ghetto«, erklärt Marx. Für Kinder wurde ein Spielekeller eingerichtet, es entstanden eine Nähwerkstatt und ein Kulturraum für Lesungen und Ausstellungen.

Seit Dezember 2011 ist die Rumänin Ana Maria Munteanu Marx' rechte Hand. Die Soziologin und Psychologin dolmetscht und vermittelt zwischen Roma und Behörden, Ämtern und Schulen. Außerdem gibt sie Deutschkurse: »Die Roma lernen Deutsch, arbeiten, zahlen Miete und schicken ihre Kinder in die Schule.«

Diane Stavarache (36) lebt mit ihrem Mann David und sieben Kindern seit vier Jahren hier. Ihre älteste Tochter ist 17 Jahre alt und wird nach der 10. Klasse auf ein Gymnasium gehen. Diane Stavarache kümmert sich auch um den Nachwuchs anderer Roma-Mütter: Nicht für alle Kinder gibt es momentan einen Kitaplatz. Mit den Kleinen singt sie nicht nur rumänische Lieder, auch deutsche Reimspiele kommen gut an.

Dass in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wird, ob Roma überhaupt integrierbar seien, findet Munteanu bitter: »Hier werden die Roma genauso diskriminiert wie in Rumänien. Es wiederholt sich, was sie in ihrer Heimat erleben.«

Benjamin Marx weiß, was Missgunst ist: »Nachbarn, Behörden und Medien möchten, dass wir scheitern, damit ihre Vorurteile bestätigt werden. Man fragt uns abfällig, warum tut ihr das für die Zigeuner?« Seine Antwort: »Wir wollen, dass diese Menschen in geordneten Strukturen ein geordnetes Leben führen können.«

Marx kritisiert, dass seit Jahren überall in Deutschland Schrottimmobilien von Schlepperbanden oder profitgierigen Vermietern mit Roma gefüllt werden und niemand diese Maschinerie stoppe. Die meisten der rund 25 000 melderechtlich registrierten Roma in Berlin leben armselig. Viele sind obdachlos. Allein in Neukölln leben rund 10 000 Roma. »Es wird vermutet, dass Keller, Flure und Dachböden noch Zuflucht bieten«, heißt es im aktuellen 3. Roma-Statusbericht des Bezirks.

»Die Lage ist teilweise dramatisch«, räumt Monika Lüke ein. Für die Integrationsbeauftragte des Berliner Senats ist es ein Unding, dass immer wieder Roma auf der Straße kampieren müssen. »Endlich wird nach Jahren über die sogenannte Armutszuwanderung und die Situation der Roma öffentlich diskutiert.« Das bringe nicht sofort eine Lösung, aber die Debatte sei überfällig.

»Wir haben die Verpflichtung, Bedingungen zu schaffen, dass die Roma hier ein menschenwürdiges Leben führen können.« Lüke hofft, dass sich die Lage entspannt, wenn 2014 die Freizügigkeitsbeschränkungen fallen: »Es gibt genug Bereiche, wo Bedarf nicht nur an Fachkräften besteht.«

Fachleute sehen in dem Neuköllner Projekt ein Beispiel, wie Integration gelingen kann. »Die Roma als eine homogene Gruppe zu behandeln, ist falsch«, betonen Marx und Munteanu. »Es sind individuelle Maßnahmen nötig. Man darf nicht einfach auf dem Papier ein Integrationsmodell für alle Roma entwickeln.« (epd)

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