Russische »Stimme« will sich wehren
Wahlbeobachtungsorganisation »Golos« im Visier der Justiz
Das russische Justizministerium lässt seit Wochen wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das Gesetz zur Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen ermitteln. Erstes Belastungsmaterial gegen »Golos« wurde am Mittwoch einem Moskauer Gericht übergeben. Kommt es zu einem Verfahren mit Schuldspruch, droht der Organisation eine Geldstrafe in Höhe von 300 000 bis 500 000 Rubel (umgerechnet bis zu 12 500 Euro). Dazu könnte ein Bußgeld von 100 000 bis 300 000 Rubel (bis zu 7500 Euro) für »Golos«-Direktorin Lilia Schibanowa kommen.
Seit November 2012 müssen Organisationen der Zivilgesellschaft, die mit Geld aus anderen Staaten arbeiten, diese Einnahmen offenlegen und sich als »ausländische Agenten« registrieren lassen. »Golos« hatte schon mit Ungehorsam gedroht, als der Föderationsrat im Sommer 2012 die zuvor von der Duma verabschiedete Vorlage behandelte: Das Vorhaben sei verfassungswidrig. Ähnlich sah das der Beauftragte für die Zivilgesellschaft beim Präsidenten, Michail Fedotow. Wladimir Putin verlieh dem Entwurf durch seine Unterschrift dennoch Gesetzeskraft.
»Golos« aber will sich nicht als »ausländischer Agent« registrieren lassen und seine Interessen vor Gericht »bis zum Letzten« verteidigen, um nach Möglichkeit einen Präzedenzfall zu schaffen. Die Schlussfolgerungen des Justizministeriums, rügte vorsichtig der Anwalt der Organisation, Ramil Achmetgalijew, seien »voreilig«. »Golos« finanziere sich nur noch aus russischen Quellen, die bisher nicht offengelegt werden müssen, und nehme dafür sogar schwerwiegende Einschränkungen für die eigene Tätigkeit in Kauf.
Lilia Schibanowa erklärte gegenüber der Zeitung »Kommersant«, eine Zuwendung der US-amerikanischen Entwicklungshilfeagentur USAID sei längst vor Inkrafttreten des besagten Gesetzes ausgegeben gewesen. Als Gesetzesverstoß kreidet das Justizministerium der Organisation jedoch ein Preisgeld an, das »Golos« im Herbst 2012 vom norwegischen Helsinki-Komitee für die »Propagierung demokratischer Werte« zuerkannt wurde. In »Kommersant« ist von 50 000 Euro die Rede. Wegen der damit verbundenen Risiken verzichtete die Führung der Organisation jedoch auf das Geld für den nach Andrej Sacharow benannten Preis. Belege für die Rücküberweisung nach Oslo lägen vor, sagt Grigori Melikjanz, stellvertretender Geschäftsführer von »Golos«. Überdies bestreitet die Leitung der Organisation den Vorwurf, sie betreibe »politische Tätigkeit«. Ihr Streben nach Korrektur der Wahlgesetzgebung diene den Interessen aller Bürger und nicht denen einer konkreten politischen Kraft, erklärte Anwalt Achmetgalijew.
Tatsächlich steht »Golos« weit oben auf der inoffiziellen Liste der beim »Einigen Russland« unbeliebtesten Vereinigungen. Vor allem die von der Organisation ins Netz gestellte interaktive Karte mit Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen 2011 erregt den Unwillen der Regierungspartei. »Golos«-Mitarbeiter in den Regionen hatten Verstöße gegen das Wahlgesetz und direkte Fälschungen dokumentiert und damit die landesweite Protestbewegung »Für ehrliche Wahlen« angefeuert. Mancher in Russland erklärt den Angriff auf »Golos« übrigens auch mit dem unfreundlichen Empfang, den deutsche und niederländische Demonstranten Präsident Putin bei dessen Besuchen zu Wochenbeginn bereitet haben.
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