Opfer eines Rechtsradikalen

Zum 45. Jahrestag des Attentats auf Rudi Dutschke

  • Nora Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die zeitliche Nähe beider Attentate war nicht zufällig. Am 4. April 1968, um 18.01 Uhr, sank der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis, Tennessee, tödlich getroffen nieder. Am 11. April, punkt 16.35 Uhr, brach Rudi Dutschke, von drei Kugeln in Kopf und Brust getroffen, auf dem Kurfürstendamm in Westberlin zusammen. Der King-Mörder James Earl Ray, ein entflohener Häftling, der offen rassistische Ansichten vertrat, wurde zwei Monate nach der Tat auf der Flucht in London verhaftet. Dutschkes Attentäter konnte eine Stunde nach dem Anschlag, nach heftigem Schusswechsel mit der Polizei, in einer Nebenstraße unweit des Tatortes überwältigt werden. Der 23-jährige Josef Erwin Bachmann, ein u. a. wegen Waffendiebstahls vorbestrafter Anstreicher aus Peine, der als rechtsextrem galt, gab später an, der Anschlag auf King habe ihn inspiriert. Bachmann hatte eine Schießausbildung beim NPD-Mitglied Wolfgang Sachse erhalten und enge Kontakte zu Mitgliedern der späteren Wehrsportgruppe Hoffmann. Bereits kurz nach seiner Festnahme erklärte er: »Ich möchte zu meinem Bedauern feststellen, dass Dutschke noch lebt. Ich hätte eine Maschinenpistole kaufen können. Wenn ich das Geld dazu gehabt hätte, hätte ich Dutschke damit zersägt.« Seine Tat begründete Bachmann mit seinem Hass auf Kommunisten. Und ein solcher war in seinen Augen das Vorstandsmitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) Rudi Dutschke.

Drei Operationen waren nötig, um dem 28-jährigen Soziologiedoktoranden die Projektile aus dem Körper zu entfernen. Dutschke sollte sich nie mehr gänzlich erholen. Der Führer der Außerparlamentarischen Opposition (APO) starb am Weihnachtstag 1979 in Aarhus, Dänemark, an den Spätfolgen des Anschlags.

Rassisten und Rechtsextreme scheren sich nicht um historische Details und Differenzierungen. Der 1940 geborene Sohn eines Postbeamten war in seiner Jugend in der DDR in der evangelischen Jungen Gemeinde von Luckenwalde aktiv und zugleich Mitglied der FDJ. Die Niederschlagung des Ungarnaufstandes durch sowjetische Panzer 1956 brachte ihn in Opposition zur SED. Wegen seiner kritischen Haltung und Verweigerung des Wehrdienstes in der NVA wurde dem Zehnkämpfer Dutschke das gewünschte Studium der Journalistik - er wollte Sportreporter werden - verweigert. Er übersiedelte kurz vor dem Mauerbau 1961 nach Westberlin, schrieb sich an der Freien Universität ein und begann sich politisch zu profilieren. 1964 organisierte er eine Demo gegen den Staatsbesuch des kongolesischen Diktators Tschombé. Zwei Jahre später erschütterten Proteste gegen die Notstandsgesetze, für eine Hochschulreform und gegen den Vietnamkrieg die Bundesrepublik und Westberlin. Im Juli 1967 notierte Dutschke: »Wir sind nicht mehr die dreißig, vierzig Spinner, die einen Traum von einer ach so fernen Welt haben, sondern es gibt tatsächlich hier an der Universität ein antiautoritäres Lager von vier- bis fünftausend Studenten.« Die tödlichen Schüsse des Polizeiwachtmeisters Karl-Heinz Kurras auf den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 hatten maßgeblich zur Radikalisierung der Jugend beigetragen.

Der Mord an Ohnesorg und das Dutschke-Attentat nannte Oskar Negt am 13. April 1968 bei einem Teach-In auf dem Römerberg in Frankfurt am Main Glieder »in der Kette sorgfältig präparierter und seit langem angedrohter Gewalttätigkeit«, mit der die studentische Protestbewegung wie auch die gesamte außerparlamentarische Opposition erstickt werden sollte. Es habe sich eine Omnipotenz repressiver Macht herausgebildet, urteilt Hartmut Reinicke, der jüngst ein aufschlussreiches wie anspruchsvolles Buch herausgab, in dem er Dutschke und seine Zeit porträtiert, Originaldokumente des SDS und des charismatischen Studentenführers ausführlich zitiert, darunter unbekannte Fragmente aus dem Nachlass. Der Biograf, damals beim Frankfurter SDS, sieht Dutschkes libertäre Kommunismusvorstellungen beeinflusst vom jungen Marx, Heinrich Heine und Ernst Bloch: »Aufrecht gehen!« Zwei DVDs mit den Filmen von Wolfgang Venohr (1968) und Helga Reidemeister komplettieren den reich illustrierten 12. Band der »Bibliothek des Widerstands« des Laika-Verlages.

Hartmut Reinicke: Rudi Dutschke. Aufrecht gehen - 1968 und der libertäre Kommunismus. Laika-Verlag, Hamburg. 320 S., geb., mit 2 DVDs, 29,90 €.

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