Blackbox Reichtum
Die Angst des Journalismus vor der sozialen Kluft
Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Armut und Reichtum in Kommentierung und Berichterstattung (der Medien, d. Red.). Reichtum wird - bewusst oder unbewusst - nicht politisiert. Er ist eine persönliche Angelegenheit, über die zu reden zudem als »unfein« gilt, weshalb derjenige, der darüber redet, sich als »Neider« entpuppt. Und er ist eine persönliche Angelegenheit, weil Reichtum in der Öffentlichkeit weithin als Ergebnis der Leistung von Einzelnen oder ihres familiären Umfeldes gilt. Zudem ist es ein Leichtes für jeden Wohlhabenden und Reichen, sich als Wohltäter und Mäzen eine positive öffentliche Resonanz zu beschaffen; die Option, auch einmal in diesen Genuss zu kommen, möchte sich niemand »verscherzen«.
Die Soziologen Sighard Neckel, Christoph Deutschmann und andere machen bereits seit Jahren auf folgenschwere Umdeutungen aufmerksam: Wenn Reichtum, hohe Renditen und hohe Einkommen zum Leitbild würden anstelle von Leistung, wenn also das Ergebnis entscheidend sei und der Weg dorthin ohne Bedeutung, wenn damit dem »Leistungsprinzip alle Grundlagen« entzogen würden, wie sollten dann Reichtumstendenzen überhaupt noch politisiert und problematisiert werden? Neckel erinnert: »In der Werbung für ihren Investmentfonds hat die Postbank diese Entwicklung vor einigen Jahren auf die knappe Formel gebracht: ›Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen‹.«
Dagegen ist das Feld Armut politisiert, weil alle Betroffenen öffentliche Gelder erhalten, aufgebracht von den Steuerzahlern. Ständige Rechtfertigung und Ansprüche auf eine Gegenleistung dominieren das Verhältnis gegenüber den Sozialtransferempfängern. Erst wenn diese kommunikative Schräglage zulasten des Themas Armut aufgehoben ist, wird der Blick auf Strukturen frei, die soziale Ungleichheit produzieren, und auf Wechselwirkungen, wie die zwischen der Zunahme des privaten Reichtums und der Zunahme von privater und öffentlicher Armut.
Sind Armut und Reichtum für die Medien Themen, die sie jenseits ihrer Chronistenpflicht interessieren? Zweifellos findet auf den Themenfeldern Armut und Reichtum eine anlassbezogene Berichterstattung statt; in Sachen Armut häufiger als in Sachen Reichtum. Themen nicht aufzugreifen bedeutet in der journalistischen Kommunikation nicht, ihre Existenz zu leugnen. Verneint werden damit nur ihre Aktualität und ihre Bedeutung.
(…) Die Berichterstattung auch der Qualitätsmedien über die Krise des Finanzsystems wurde vielfach kritisiert; vor allem diejenige im unmittelbaren Vorfeld des offenen Ausbruchs im September 2008. Konkret ging es unter anderem um die fehlende inhaltliche Zusammenarbeit zwischen den Ressorts Politik und Wirtschaft und um die mangelhafte Berücksichtigung von »alternativem Gegenwissen«. Es gab in der Zwischenzeit viele Anhaltspunkte, die dafür sprachen, dass vor allem die meinungsbildenden und vergleichsweise gut bis sehr gut ausgestatteten Qualitätsmedien sich anstrengten, die Qualität zu steigern, also auch in differenzierte Analysen und Kommentierungen zu investieren und mit höherer Sensibilität auf vernachlässigte Themen und Perspektiven zu reagieren.
Anhand der Analyse der Kommentare zur sozialen Frage ist eine solche Verbesserung nicht festzustellen; eine sehr positive Ausnahme bildet die analytische und berichtende Arbeit der Wochenzeitung »Die Zeit«.
(...) Insbesondere gesellschaftskritische Kräfte wundern sich darüber, warum es keine öffentlich sich manifestierende Empörung über unangemessenen Reichtum und zu große soziale Klüfte gibt. Das könnte auch damit zusammenhängen: Die Analyse der Berichte und Kommentare zeigt, dass es eine hohe Unsicherheit über die Frage gibt, wer eigentlich reich ist. Der Soziologe Rehberg spricht irritiert davon, wie »der Reichtum wunderbar vermehrt« werde. Wer monatlich mehr als etwa 3300 Euro netto verdiene, gelte bereits als reich; dabei zeigten Untersuchungen, dass in der Bevölkerung weithin erst derjenige als reich gelte, der deutlich mehr als 25000 Euro im Monat verdiene. Gegenteilige Daten werden jedoch von der Buchautorin Ulrike Herrmann genannt. Sie stellt fest, dass diese Versuche der »Reichtums-Vermehrung« sehr wohl am Alltagsbewusstsein von Mittelschichten anknüpfen: »Die Mehrheit der Deutschen hält sich für einigermaßen wohlhabend und neigt dazu, die Grenze des Reichtums knapp oberhalb ihres eigenen Einkommens und Vermögens anzusetzen.«
Untersuchungen des Arbeitsministeriums, veranlasst in Verbindung mit der Erstellung des 3. Armuts- und Reichtumsberichtes, zeigten, dass sich viele Bürger für reich halten, wenn sie über ein Haushaltsnettoeinkommen von 3000 Euro verfügen. So beginnt der offizielle Reichtum also bei Mittelschichten, die sich entweder selbst subjektiv nicht als reich empfinden, es offiziell aber sind, oder die sich als reich empfinden, dies aber nach wissenschaftlicher Expertise gar nicht dürften. Das ständige Absenken der Steuersätze führte dazu, dass beispielsweise ein Single mit einem Jahreseinkommen von knapp 55000 Euro bereits in die Nähe des Spitzensteuersatzes rückt.
Das könnte auch das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach erklären, wonach lediglich zwölf Prozent der 1800 repräsentativ Befragten den Spitzensteuersatz für zu niedrig halten. Für 35 Prozent ist er angemessen, für 36 Prozent zu hoch. Die Frage lautete konkret: »Ist der Spitzensteuersatz für Alleinstehende angemessen?« Diese Mittelschichten sind zudem - bei einem Jahreseinkommen zwischen 40000 bis 70000 Euro - stark belastet, da sie vergleichsweise hohe Sozialabgaben und direkte Steuern bezahlen müssen; das Moment der progressiven Besteuerung spielt hier eine bedeutende Rolle. Da sie zudem - im Gegensatz zu den »wirklich Reichen« - einen hohen Anteil ihres Einkommens für ihren Lebensunterhalt ausgeben müssen, sind sie auch überdurchschnittlich stark von den in den vergangenen Jahrzehnten stark ansteigenden indirekten Steuern betroffen.
Diese Gruppe ist heute im Kern der Finanzier des Sozialstaates. Das heißt, diese Gruppe fühlt sich »negativ« angesprochen, wenn es darum geht, Sozialleistungen zu erhöhen. Denn sie hat das Bewusstsein, diese Ausgaben habe vor allem sie zu finanzieren. Und diese Gruppe fühlt sich auch dann »negativ« angesprochen, wenn im politischen Raum darüber debattiert wird, die Steuern für Wohlhabende und Reiche zu erhöhen. Denn offiziell gehört diese Schicht zu den Wohlhabenden und Reichen.
Ulrike Herrmann weist auf ein weiteres Beispiel hin: Obwohl 70 Prozent der Deutschen fast nichts besitzen, ergeben Umfragen, wie eine von Forsa im August 2009, dass nur 20 Prozent eine Erhöhung der Erbschaftssteuer befürworten. Herrmann vermutet, dass in diesem Zusammenhang die Metapher von »Omas ihr klein Häuschen« im Alltagsbewusstsein eine bedeutende Rolle spielt, also gerade die Angst der Nicht- und Wenig-Wohlhabenden, dass ihnen ihr kleines Eigentum auch noch wegbesteuert werde. Vor allem in der Kommentierung der FAZ, aber auch der SZ spiegelt sich diese »Sandwichlage» der Mittelschichten wieder.
Als Anregung für weitere Antworten auf die Frage, warum die Umverteilungsdebatten im Sinne der Initiatoren oft nicht zünden, hier noch eine kleine Betrachtung des Soziologen Neckel über das Thema Neid: Neckel hat sich in einem Aufsatz mit dem Thema »Deutschlands gelbe Galle - Eine kleine Wissenssoziologie des teutonischen Neides« eingehender beschäftigt. Der »Sozialneid« sei, so Neckel, ein Mittel der Politik. So werde versucht, entsprechende politische Konzepte zu denunzieren.
Bleibt die Frage: Treibt Neid dazu, Umverteilung zu fordern? Wäre es so, dann böte Neckel die Erklärung dafür, warum Reichtum bisher politisch so »ungefährdet« bleibt: »Solange Unzufriedene auf höhere Klassen nur neidisch sind, eifern sie ihnen mehr nach, als dass sie sie stürzen wollen. Durch den gemeinsamen Wertbezug auf ein gleichermaßen begehrtes Objekt bindet Neid Konkurrenten auch aneinander. Er ist deshalb als ein vergleichsweise integratives Gefühl zu bezeichnen.« Erst wenn die Wettbewerbschancen aussichtslos seien, dann könne aus Neid Wut werden.
Gegenstand der Untersuchung waren vier überregionale Printmedien (FAZ, »Süddeutsche Zeitung«, »Zeit«, »Spiegel«) sowie zwei Berliner Tageszeitungen (»Berliner Zeitung«, »Tagesspiegel«).
Hans-Jürgen Arlt leitete bis 2003 den Bereich Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und hat aktuell eine Gastprofessur für Strategische Organisationskommunikation an der Hochschule der Künste in Berlin inne; Wolfgang Storz war bis 2006 Chefredakteur der »Frankfurter Rundschau«.
Die Studie wird offiziell am kommenden Samstag (20. April) von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin vorgestellt. »nd« dokumentiert vorab Auszüge. red.
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