Feminismus ist eine komplizierte Sache
Millaray Painemal über die Situation indigener Frauen in Chile
nd: Was sind die größten Probleme, die indigene Frauen in Chile haben?
Millaray Painemal: Es gibt viele! Zum Beispiel haben sie keinen Zugang zu Krediten. Im Normalfall haben nur Männer den Zugang dazu. Die wenigen Kreditangebote, die sich an Frauen richten, haben einen Haken: Mit ihnen sollen die Frauen dazu gebracht werden, zu Kleinunternehmerinnen zu werden. Das heißt, dass sie von der Subsistenzwirtschaft dazu übergehen sollen, sich mit ihren Waren dem Wettbewerb auf dem Markt zu stellen. Wenn sie scheitern, bleiben sie mit den Schulden zurück.
Außerdem haben Frauen auf dem Land eine große Arbeitsbelastung. Neben der Hausarbeit, der Arbeit im Gemüsegarten fällt immer noch die Erziehung der Kinder an. Oft müssen die Frauen auch für die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen, weil Bildung in Chile privatisiert und sehr teuer ist.
Eine der aktuellen Kampagnen des Frauenverbandes Anamuri ist die sogenannte Saatgutkampagne. Was hat es damit auf sich?
Diese Kampagne wurde 2001 auf dem Weltsozialforum von Via Campesina gestartet. In dieser Kampagne werden verschiedene Themen verbunden: Das des Saatguts, weil es eine Gesetzesvorlage gibt, die die Privatisierung des Saatguts vorsieht, die Problematik des Wassers und die Landfrage - das ist alles miteinander verbunden.
Was wir machen, ist Saatgutaustausch zu organisieren, aber das Ganze verbinden wir mit politischen Forderungen: der Forderung nach Ernährungssouveränität, einer Agrarreform, den Forderungen der indigenen Völker nach Territorium.
Und das alles wird durch das geplante Gesetz der Privatisierung des Saatguts bedroht. Dadurch wird Saatgut Eigentum von Unternehmen: Jeder Samen hat einen Eigentümer. Wenn man also künftig Saatgut einsetzen will, muss man um Erlaubnis von einem großen Unternehmen bitten beziehungsweise teuer dafür bezahlen. Dagegen leisten wir Widerstand, weil ohne diesen wird das Gesetz verabschiedet werden. Das hätte enorme Konsequenzen für Bauern und vor allem indigene Frauen.
Und wie steht Anamuri zur Forderung der indigenen Mapuche nach Land?
Anamuri hat die Forderungen der Mapuche in der Vergangenheit über Erklärungen unterstützt. Ich bin der Ansicht, dass sich die Organisation klarer positionieren sollte, indem sie die Leute vor Ort besuchen und die Forderungen langfristig und nicht voneinander isoliert unterstützt. Kürzlich hat sich eine Menschenrechtskommission gegründet, die genau das macht: Sie dokumentiert die Fälle von Kriminalisierung und die Forderungen der Mapuche.
Werden andere Problem ähnlich bearbeitet?
Es gibt eine Kommission von Agrararbeiterinnen, die alle Fälle, in denen Frauen Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt sind, dokumentieren. In Copiaipó beispielsweise sind zwei Frauen umgekommen, weil sie Ammoniak ausgesetzt waren.
Es gab bisher drei ethische Tribunale gegen Unternehmen, die Agrargüter exportieren. Auch Gerichtsverfahren wurden angestrengt. Aber diese dauern sehr lange und bis jetzt gab es noch keine Urteile gegen diese Unternehmen.
Welche Probleme haben Agrararbeiterinnen noch?
Sie arbeiten generell unter schlechten Bedingungen. Die Belastung durch Pflanzenschutzmittel ist riesig, weil sie ohne Schutzkleidung arbeiten. Manche Frauen haben deswegen Kinder mit Behinderungen bekommen. In manchen Fällen gibt es keine Sitzmöglichkeiten für die Arbeiterinnen und sie haben nicht einmal das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen.
Und der Staat befördert mit der Förderung der Agroexporte diese Situation. Deswegen versuchen wir hier in Europa, interkontinentale Bündnisse zu schließen.
Es gab aber auch Fortschritte. So haben Arbeiterinnen, die länger als drei Monate arbeiten, mittlerweile Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Würden Sie Anamuri als feministisch bezeichnen?
Anamuri ist Teil des World March of Women, einem Netzwerk von Basisgruppen. Einige Organisationen, die in ihm vertreten sind, definieren sich feministisch. Nach außen hin also ja. Nach innen würde ich sagen, dass die Sache komplizierter ist. Innerhalb der indigenen Gemeinschaften bezeichnen sich Frauen nicht als feministisch, weil das für sie bedeutet, sich von den Männern zu trennen. Der Diskurs erscheint vielen zu aufgedrängt. Aber es gibt eine Debatte darüber. Wir werden darüber ein Treffen abhalten und darüber diskutieren, ob wir uns als feministisch bezeichnen und was das für uns bedeutet.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.