Flüchtlinge haben im Innenausschuss keinen Zutritt
Sitzung endet in Gerangel und mit Anzeigen / Kritik an ethnisierender Täterzuschreibung in Polizeilicher Kriminalstatistik
Auf einmal gellen Rufe und Pfiffe, Personenschützer und Polizisten in Uniform riegeln hektisch den Saal des Innenausschusses im Abgeordnetenhaus in Berlin ab. Der Grund: Vor der Tür haben sich 20 Aktivisten des Refugee-Camps versammelt, die ursprünglich den Ausschuss besuchen wollten, um gegen die Durchsuchung der von ihnen genutzten Schule in Kreuzberg durch ein Sondereinsatzkommando der Polizei in der vergangenen Woche zu protestieren. Weil die Angestellten des Parlaments jedoch nur Menschen mit Ausweis einlassen wollen, kommt es zum Eklat. »Erst kriminalisieren Sie uns, und dann lassen Sie uns auch noch nicht rein«, schimpft ein Asylsuchender.
Obwohl Abgeordnete von Piraten, Linkspartei und Grünen zu vermitteln versuchen, reagiert der Direktor des Abgeordnetenhauses kategorisch. »Sie haben gegen die Hausordnung verstoßen und die Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans gestört, deshalb haben wir Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt«, sagt Christian Christen. Die Polizei sei aufgefordert, das Hausrecht durchzusetzen. Dazu kommt es dann doch nicht, weil die Flüchtlinge nach einiger Diskussion das Parlament freiwillig verlassen - und die Polizei besonnen reagiert.
Hinter den verrammelten Türen steht derweil die Polizeiliche Kriminalstatistik 2012 (PKS) auf der Tagesordnung. Die Gesamtzahl der Straftaten ist in Berlin auch unter Innensenator Frank Henkel (CDU) leicht um 912 Delikte auf 495 297 Fälle angestiegen (Grafik). Zugleich sank die Aufklärungsquote der Polizei um 1,4 Prozent auf 44,7 Prozent. Keine guten Werte für Polizeipräsident Klaus Kandt und seinen Dienstherrn. Schließlich gibt es vor allem in jenen Feldern große Zuwächse, die für das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger wichtig sind: also Raub und Körperverletzungen.
Innensenator Henkel will dennoch am Umbau zu einer präsenzorientierten Polizei festhalten. »Der Kern unserer Sicherheitspolitik bleibt es, mehr Polizisten auf die Straße zu bringen.« Dazu sollen zu sich bereits 250 in Ausbildung befindlichen noch einmal 150 neue Polizisten hinzukommen, also insgesamt 400 neue Polizisten in dieser Legislatur.
Da Henkel jedoch zugleich in seinem Etat massiv sparen muss, bezweifelt die Opposition den Sinn der Maßnahme. »Sie betreiben Schönfärberei«, kritisierte der Innenexperte der Grünen, Benedikt Lux. »Sollen die neuen Polizisten ihren Dienst etwa nackt verrichten?« Doch auch die Form der Kriminalstatistik birgt Zündstoff zwischen Senat und Opposition. »Bei Opfern werden keine Differenzierungen nach Migrationshintergründen und Staatsangehörigkeiten vorgenommen«, kritisiert Lux. Der Senat indes kann an seiner einseitigen Einordnung nach Migrationshintergründen bei Tätern nichts Falsches finden. »Dass Klaus Kandt behauptet, Asiaten sind weniger gewaltbereit als Osteuropäer, verstößt gegen alle Richtlinien der Anti-Diskriminierung«, sagt dagegen Udo Wolf von der Linkspartei. Er kann nicht verstehen, dass die SPD so eine ethnisierende Politik mitmache.
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