Kochen für die Mittelschicht
Bei Vegetariern und Veganern handelt es sich um wohl situierte Mittelschichtler, die sich mit ihrer Ernährungsweise vom Fleisch liebenden Proletarier distanzieren. Jenen Eindruck gewinnen zumindest die Leser von „slowly veggie“, einem neuen Hochglanzmagazin aus dem Hause Burda.
Bei inzwischen schätzungsweise sieben Millionen Vegetariern in Deutschland konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis große Verlage die Fleisch meidende Zielgruppe für sich entdecken. Mit „slowly veggie“ legt der Verlag nun die zunächst einmalige Ausgabe eines neuen Magazins vor, um sich auf den noch relativen jungen Markt vorzutasten. Dass dieses 148 Seiten umfassende Heft bei einigen schlecht sortierten Zeitschriftenhändlern ausgerechnet neben einem dem toten Tier frönenden Männermagazin namens „Beef“ (deutsch: Rindfleisch) in der Auslage auf seine Käuferschaft wartet, ist gewiss nur dem miesen Bauchgefühl einiger Kioskbesitzer geschuldet. Vielleicht sollte es aber auch ein versteckter Test sein, ob Vegetarier beim Anblick eines kiloschweren Stücks toter Kuh doch noch schwach werden.
Die Zielgruppe von „slowly veggie“ sind aber nicht einfach nur schlichte Vegetarier. Vielmehr wollen die Blattmacher Menschen erreichen, die „Yoga-Food“ lieben und sich einen Designer-Hocker für 2350 Euro ins Wohnzimmer stellen, auf dem sie dann ihren nächsten Sommerurlaub auf einer Privatinsel vor der Küste Thailands planen.
Jene extravaganten Angebote gibt das Magazin im rezeptfreien Teil des Heftes und disqualifiziert sich damit quasi automatisch von einer ernsthaften Lektüre des eigentlichen Hauptanliegens – nämlich den durchaus ansehnlichen Rezeptvorschlägen.
So manch überzeugte Fleischesser wird sich durch „Veggie“ in seinen Vorurteilen gegenüber Vegetarismus und Veganismus bestätigt fühlen.
Nicht selten ist die Behauptung, die fleischfreie beziehungsweise tierfreie Ernährung sei eine Lebensweise grüner Großstadt-Mittelschichtler, die sich durch den Verzicht auf Tierisches vom Fleisch verzehrenden Proletarier abheben wollen. Was beim Pöbel auf dem Teller landet, gehört demzufolge nach schon allein aus Imagegründen nicht auf den Esstisch einer Familie im Prenzlauer Berg.
Vegetarismus, so der Vorwurf, muss man sich leisten können! Exakt diese Botschaft sendet veggie, wenn es schon auf seinem Cover vom „Green Glamour“ und den „besten Hotspots weltweit“ titelt. Konsequenterweise durchzieht dieser Anspruch fast vollständig den Rezeptteil des Magazins. Bunte Hochglanzaufnahmen sollen den Appetit anregen, die Redaktion verspricht einfache Rezepte mit wenig Aufwand.
Vielleicht liegt es nur an der auf dem Titel präsentierten Millefeuielle, einem filigran geschichteten Türmchen aus Apfelscheiben, Roter Bete, Sellerie und Frischkäse, aber zum Abbau des beschriebenen Vorurteils dient „veggie“ definitiv nicht. Schnelle Küche sieht anders aus. Vielleicht wären Hintergrundinformationen zu den einzelnen Rezepten sinnvoll gewesen. Nährwerttabellen sollten für eine bewusste Ernährung mehr bieten als die Auflistung von Kohlenhydraten, Eiweiß und Fett. Das „veggie“ Magazin ist damit vieles, aber gewiss nicht alltagstauglich.
„slowly veggie! Vegetarisch Kochen für die Seele“, 148 Seiten, Hubert Burda Verlag, Preis: 4,95 Euro
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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