Wenn der Dämon nicht dämonisch genug ist
MEDIENgedanken: Thema Israel und der fragwürdige Umgang in den Medien mit der Wahrheit
Die neue Miss Israel stammt aus Äthiopien. Sie ist also »schwarz«. Das ist vielleicht genau so ein Politikum in Israel, wie es hier eines wäre, wenn eine Türkischstämmige Bundeskanzlerin würde. Gerade die »äthiopischen Juden« in Israel haben es schwer. Sie werden von vielen Israelis wegen ihrer Hautfarbe nicht als »richtige« Juden anerkannt. Sie haben im Durchschnitt schlechtere Jobs, oder, öfter als der Durchschnitt, gar keine. Brennende Konfliktlinien durchziehen die israelische Gesellschaft: Ein Fall in Yehuda wurde heiß diskutiert, wo 50 äthiopischstämmigen Kindern der Zugang zu einer Schule verweigert wurde. Israelische Schulbücher vermitteln rassistische Stereotype, das hat ein Buch von Nurit Peled, einer Professorin für Komparatistik, belegt.
Vor geraumer Zeit hat ein israelisches Fernsehteam in einer Reportage den heftigen Vorwurf erhoben, dass äthiopische Juden zur Verhütung gezwungen wurden. Die Reportage geht der Tatsache nach, dass die Geburtenrate äthiopisch-jüdischer Einwanderinnen in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent gesunken ist. Es wurden Interviews mit 35 Frauen geführt, von denen einige aussagten, sie hätten nicht gewusst, was für Spritzen sie bekamen, und dass sie unter Druck gesetzt wurden. Später gab es einen Brief des Gesundheitsministeriums. In diesem wurden die verantwortlichen Ärzte aufgefordert, Frauen äthiopischer Herkunft keine Verhütung mehr zu verschreiben, wenn die Möglichkeit bestehe, dass sie die Auswirkungen nicht verstehen.
Unter anderem von der »Süddeutschen Zeitung« wurde das als Schuldeingeständnis interpretiert. Wer sich das Dokument aber genauer durchliest, wird merken, dass dieses Schuldeingeständnis keine Tatsache ist, sondern eher hineingelesen wird. Das Thema wurde von der linksliberalen israelischen Zeitung »Haaretz« bekannt gemacht. Aber auch die »Haaretz« musste bald feststellen, dass die Geschichte bei jeder Wiederholung mehr entstellt wurde.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Höchstwahrscheinlich liegt hier ein Fall von Rassismus und Diskriminierung vor. Zum Teil wurden die Frauen mit der Begründung zur Verhütung bedrängt, dass sie es mit einem Kind in Israel schwierig haben würden. Es ist auch sehr gut möglich, dass einigen der betroffenen Frauen nicht klar war, was sie da zu sich nahmen. Das ist schlimm genug. Aber selbst in anerkannt seriösen Zeitungen wie dem britischen »Independent« wurde aus dem Vorwurf eine Tatsache gemacht: »Israel verpasst Zwangsverhütungen«, lautete die Schlagzeile. In einer US-Talkshow wurden aus den Zwangsverhütungen »Zwangssterilisationen«.
Die Presse hält sich aber meist noch an Regeln. In Internetforen und Artikelkommentaren wird offen von Völkermord gesprochen. Offenbar gibt es einen Heißhunger auf Informationen, die Israel zu einem alles verschlingenden Dämon machen. Ein Blogger namens »Echsenwut« bringt dies in einem Text über die besagten »Zwangssterilisationen« auf den Punkt: Das »Experiment Israel« sei ein »wahrhaft ekelhaftes Monster« das den Rest der Welt tagtäglich drangsaliere. Wie im Nachkriegsdeutschland jedem Deutschen müsse man heute jedem Israeli die Frage stellen: ›Wo warst du?‹«. Israel müsse aufgelöst werden, »zerstreut sie über die Welt«, nehmt ihnen ihre kranken Phantasien, führt sie zurück zur Menschlichkeit - aber bis dahin: traut ihnen nicht.« Der Blogger wäscht sich mit dem Hinweis rein, nichts gegen Juden zu haben, er sei bereit, mit ihnen »zu feiern oder sogar zu sterben«.
Es ist heutzutage die Regel, dass man seine Ressentiments mit dem Hinweis, eigentlich habe man gar nichts gegen Juden etc. pp., reinwäscht. Diese Argumentation gleicht der von Thilo Sarazzin, der behauptet, nicht gegen Ausländer prinzipiell zu sein, sich aber Stereotypen und irrationaler Projektionen wie sich - »rattenhaft« - vermehrende Kopftuchmädchen bedient. Bezogen auf den Fall Israel: Es genügt, das Stichwort »Israel, Zwangssterilisierungen« zu googeln, und schon quillt ein Meer von Artikeln und Blogs hervor. Darin werden »die Israelis« als homogene Einheit gedacht. Und die Ausrichtung ist immer die gleiche: »Die sind auch nicht besser als wir (Deutsche) damals waren«. Rassistische Vorfälle werden damit gleichgesetzt mit der industriellen Vernichtung von Millionen von Menschen. Eine absurde Verzerrung. Anstatt das eigene Anliegen aufzuwerten, wertet man das andere ab. Der Holocaust wird verharmlost, wenn jeder rassistische Vorfall in seine Nähe gerückt oder mit ihm verglichen wird.
Außerdem sind diese Argumente so leicht zu widerlegen, dass man den Verharmlosern in die Hände spielt: Wenn beispielsweise auf der deutschsprachigen Webseite »Israelnetz.com« behauptet wird, dass äthiopische Juden in Israel »inzwischen gut integriert« seien, ist das eine schädliche Verharmlosung und Verzerrung der Wirklichkeit. Diese Fronthaltung ist charakteristisch für die deutschen Debatten zum Thema und verhindert eine sinnvolle Auseinandersetzung.
Der Autor ist Blogger und lebt in Berlin.
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