Experimentierraum für Erfinder
Das Fabrikationslabor »Dingfabrik« in Köln bietet Bastlern High-Tech-Produktionstechnologien an
Freitagabend im dritten Stock der ehemaligen Gasmotorenfabrik in Köln-Deutz. An einem großen Tisch sitzen drei Männer und sortieren Schrauben. »Ich wollte immer schon eine Schraubensortiermaschine bauen«, sagt Roland Kletzing, der viele Freitagabende hier verbringt. »Ja, keine schlechte Idee«, sagt sein Sitznachbar. Am anderen Ende des Tisches stehen vier Laptops, davor sitzen konzentriert arbeitende Männer. Zwei von ihnen versuchen, die Praktikumsaufgabe der Tochter des einen zu lösen: Ein batteriebetriebener Temperaturmesser soll die zuletzt gemessenen Werte auch dann noch wiedergeben, wenn die Batterie leer ist.
Der Verein »Dingfabrik« lädt jeden Freitag neugierige Besucher und Mitglieder zum »Bastelabend« ein, in seiner Werkstatt zu tüfteln oder zu handwerken. Die Dingfabrik ist eines von bundesweit rund einem Dutzend sogenannter FabLabs. Die Fabrikationslabore sind Werkstätten mit High-Tech-Ausstattung, die interessierten Bürgern offenstehen. Die Kölner Dingfabrik erinnert an eine Mischung aus moderner Daniel-Düsentrieb-Werkstatt und Papas Hobbykeller als Gemeinschaftsprojekt. Hier stellen Bastler mit hochmodernen Geräten wie einem Laser-Cutter oder einer hochpräzisen, elektronisch gesteuerten Fräse Bauteile her, wenn es die benötigten nicht zu kaufen gibt oder sie zu teuer sind.
Sie suchen Lösungen für technische Probleme, reparieren defekte Geräte - oder erfinden etwas neues. Andere arbeiten mit Holz oder fertigen Lampenschirme mit der Papierfalttechnik Origami. Wer mit einem Projekt nicht weiterkommt, sucht Hilfe bei einem der anderen. »Bei uns gibt es nicht nur die Infrastruktur, sondern auch Leute, die sich dafür interessieren, aus einer Idee etwas zu machen«, sagt Alexander Speckmann, Vorsitzender des Vereins Dingfabrik. Es geht um das Experimentieren, die Freude am Bauen, das gemeinsame Vorankommen bei kniffeligen Problemen in einer kreativen Atmosphäre. »Wir stellen einen Ort zur Verfügung, an dem sich Gleichgesinnte treffen und helfen«, sagt er.
Vieles von dem, was hier erfunden wird, soll der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung stehen. Erlaubt ist allerdings auch die gewerbliche Produktentwicklung. »Bei einem ökonomischen Erfolg ist eine Spende erbeten«, sagt Speckmann. Noch hat es keiner der hier kreierten Gegenstände zum Verkaufsschlager gebracht. Immerhin: Einen in der Dingfabrik entworfenen Stuhl fertigt ein Schreiner auf Bestellung. Die aus Metallresten montierten Garderoben einer Sozialpädagogin fanden nicht den gewünschten Absatz. »Aber das macht nichts«, sagt er. »Gerade zum Ausprobieren ist so ein Experimentierraum wie unserer ja da.«
Die Kölner Tüftler sind an einem Ort, der ihrem Pioniergeist gerecht wird. Einst hat hier Nicolaus August Otto gewirkt, der Miterfinder des Viertaktmotors. Die vier Räume der ehemaligen Gasmotorenfabrik sind überfüllt mit Maschinen und Materialien. Die Ledernähmaschine aus der Schuhfabrik »Roter Stern«, die Speckmann aus Leipzig geholt hat, steht im Flur schräg gegenüber von drei giftgrünen Kinositzen. An den meisten Wänden gehen die Regale bis an die Decke, vollgestopft mit Kisten und Kartons.
»Elektroschrott für Lötversuche«, steht auf einem. Eine Wand ist frei von Regalen, an ihr hängen Sägen, Hämmer, Hobel, Feilen, Zangen und andere Werkzeuge. Gegenüber beginnt die technische Zukunft: Dort steht ein Laser-Cutter. Damit können Nutzer superexakt Materialien aus Acryl oder Holz schneiden und gravieren und so Bauteile anfertigen. Mitunter kommen Studierende der nahegelegenen Fachhochschule, um ihn zu nutzen. Denn der, der den Architekturstudenten für ihre Abschlussarbeit an der Fachhochschule zur Verfügung steht, ist bei Weitem nicht so gut wie der in der Dingfabrik. Dafür müssen sie in der Stunde 30 Euro zahlen, 6 Euro kostet es für Mitglieder. Das Geld fließt in die Kasse für Ersatzteile. Die Nutzung der übrigen Werkzeuge ist kostenlos.
Mit der Technik kommen auch die Ideen
Entstanden ist die Dingfabrik aus einer Initiative von Freiberuflern wie Architekten, Ingenieuren und IT-Leuten. Im Sommer 2010 luden sie zu einer ersten Veranstaltung, wenige Wochen später war der Verein gegründet und schon im September 2010 konnte die Dingfabrik die ersten Räume in ihrem jetzigen Domizil beziehen. Vereinsmitglieder und Besucher respektieren das Gemeinschaftseigentum. »Bislang ist kaum etwas gestohlen worden«, sagt Roland Kletzing und wirft eine Schraube in ein Kästchen. Rund 50 Leute gehören dem Verein an. Mit ihrem Mitgliedsbeitrag werden Miete und Verbrauchsmaterialien finanziert. Er versteht das Projekt auch als Antwort auf die Wegwerfgesellschaft. Die Dingfabrik veranstaltet »Repair-Cafés«, zu den Interessierte mit kaputten Toastern, Lampen oder anderen kleinen Geräten kommen können. Die Idee stammt aus den Niederlanden und wurde inzwischen in vielen deutschen Städten aufgegriffen. »Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass man Dinge auch reparieren kann - und wie viel Spaß das macht«, sagt er. »Ein reparierter Föhn ist viel schöner als ein neuer.«
In der Dingfabrik gibt es auch zwei 3D-Drucker, Leihgaben von Speckmann. Für Privatleute ist es ziemlich kompliziert, so einen Apparat zu bedienen. »Man braucht dazu einen technischen Hintergrund«, sagt Speckmann. Er arbeitet mit anderen aus der Dingfabrik daran, die Technik so nutzerfreundlich zu gestalten, dass jeder mit einem 3D-Drucker umgehen kann. Wozu Verbraucher ein solches Gerät gebrauchen könnten, weiß Speckmann noch nicht. »Wenn eine Technik gut ist, wird sich irgendwann eine Idee einstellen, wozu sie nutzbar ist«, sagt er. Auch die Pioniere der PC-Entwicklung hatten nicht wirklich eine Vorstellung davon, was ein Privathaushalt mit einem Rechner anfangen könnte. Heute steht in fast jedem einer.
In den USA sehen Waffennarren allerdings eine sehr konkrete, unschöne Einsatzmöglichkeit: Sie wollen mit Hilfe von 3D-Druckern Pistolen und Gewehre reproduzieren. Immer wieder gibt es Berichte über Versuche, bei denen es gelang, Handfeuerwaffen zu drucken, die einige Schuss abgeben konnten, bevor sie zerbrachen. Speckmann liest solche Berichte mit großer Skepsis. Er glaubt nicht, dass es mit 3D-Druckern in absehbarer Zeit möglich ist, Waffen herzustellen, mit denen Menschen getötet werden können - zumindest nicht in Deutschland. In den USA sind ohnehin fast alle für eine Waffe erforderlichen Einzelteile käuflich erhältlich. Nur die Komponente mit der Seriennummer, der Abzug, darf nicht frei verkauft werden. »Dass durch 3D-Drucker die Verbreitung von Waffen steigt, ist zwar denkbar, aber unwahrscheinlich«, sagt er. »Wer eine Waffe haben will, besorgt sie sich so oder so.« Gegen die Verbreitung von Waffen hilft seiner Meinung nach nur ein gesellschaftliches Klima, das den Wunsch danach gar nicht erst aufkommen lässt - zum Beispiel, weil sich potenzielle Käufer als Teil einer Gemeinschaft fühlen.
Aufwertung zu neuwertigen Produkten
Für die Nutzer der Dingfabrik haben Hilfsbereitschaft und gemeinsames Handeln einen hohen Stellenwert. Eines der Zimmer dient als Sozialraum. Hier gibt es einen Kühlschrank und bequeme Sitzgelegenheiten. An der Wand hängt die »Anemonenlampe«. »Das war unser erstes Gemeinschaftsprojekt«, sagt Hans-Werner Guth, der Fachmann für Origami. Ist die Lampe angeschaltet, bringt eine Steuerungseinheit zwei LED-Bänder zum Leuchten und die Lampe zum Farbwechsel. Dank des eingebauten Scheibenwischermotors aus einem Opel Corsa öffnet und schließt sich die Lampe. Ihr Schirm besteht aus Hunderten von sorgsam gefalteten Papierteilen. »Origami hat viel mit Mathematik zu tun«, erklärt er an diesem Abend einer Besucherin. Er zeigt ihr eine Lampe, die aus Tetrapackkanistern hergestellt wurde. »Up-cyclen« nennt er das, nicht re-cyclen. »Recyceln bedeutet, erst einmal etwas kaputt zu machen«, sagt er. Upcyceln dagegen gibt den Dingen eine neue Form.
Nach etwa einer Stunde sind die Schraubensortierer nebenan fertig. »So etwas muss auch mal sein«, sagt Roland Kletzing. Hinter ihm ist eine weiße Tafel. »MIG/MAG Schweißausstattung, Crowdfunding (Lastenradworkshop)« hat er darauf geschrieben. Wenn er mit dem Spendenaufruf 500 Euro eingesammelt hat, will er einen Workshop veranstalten, bei dem die Teilnehmer Lastenfahrräder aus alten Zweirädern bauen.
Immer wieder bekommen die Bastler Werkzeuge geschenkt. Aber was kommt, hängt vom Zufall ab. Brauchen sie etwas bestimmtes, schaffen sie es gemeinsam an. »Für den Einzelnen ist es oft zu teuer, spezielle Werkzeuge zu kaufen«, sagt er. Bis er vor einigen Jahren nach Köln kam, lebte er in einer ländlichen Region und hatte viel Platz zum Werkeln. In der Großstadt sieht das anders aus - den klassischen Hobbykeller gibt es in Mietshäusern selten. Roland Kletzing vermisst ihn nicht: »So etwas wie die Dingfabrik ist viel besser.«
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