Der widerspenstige Rektor
Heinrich Fink erinnert sich: Wie die Humboldt-Universität gewendet wurde
Ein Chapeau der Historiker ist dem Verfasser sicher. Heinrich Fink, der sich im dramatischen Jahr 1990 das Amt des Universitätsrektors in der berühmten Anstalt Unter den Linden auflud (mit mehr als zwei Drittel der Konzilstimmen gewählt), erinnert sich. Diese, in der vergangenen Woche in Berlin vorgestellte Zeitzeugenschaft hätte auch unter dem Titel »Aus meiner Rektoratszeit« erscheinen können. Der Autor erzählt Geschichten in einem Stil, der sich unterhaltsam nennen ließe, würden da nicht Ereignisse geschildert, deren Lektüre Reaktionen der Empörung auslösten, aber auch des Respekts. Empörung über staatliche Abwickler und Respekt für Widerständige.
Zu den von Fink dargebotenen amüsanten und weniger amüsanten Geschichten gehören die Posse, die Friedrich-Engels-Kaserne dem Universitätskorpus einzuverleiben, um dadurch Raumnot zu lindern, die gescheiterten Versuche, ein Magnus Hirschfeld-Institut für Sexual- und Geschlechterforschung und ein weiteres zur Erforschung der jüdischen Geschichte zu gründen, sowie die Entstehung eines Instituts für Sozialökologie unter dem Direktorat von Rudolf Bahro, dessen Liquidation nicht lange auf sich warten ließ.
Fink berichtet über die Rehabilitation des Rechtsphilosophen Hermann Klenner, der 1958 von der Universität verwiesen worden war, und über die dem Geiste der Inquisition entsprechenden Kündigungen des Professors der Medizin Peter Althaus und des Wirtschaftswissenschaftlers Hans Schmidt und anderer in den 1990er Jahren.
In ihrer Summe geben diese Geschichten ein Bild von der Konfrontation zweier unvereinbarer Konzepte für den notwendigen Wandel des Universitätslebens, die jeweils Erneuerung hießen und von denen nicht das demokratisch Gewünschte, sondern von der Obrigkeit Verordnete durchgesetzt wurde. Zu Finks Erfahrungen zählen auch bittere im Umgang mit der Berliner Exekutive, wobei es keinen Unterschied machte, ob unter sozialdemokratischer Senatorin oder deren christdemokratischem Nachfolger. Beider Politik war von Missachtung und Unaufrichtigkeit gegenüber Personen und Gremien der Universität charakterisiert, die zu Zeiten der DDR eine führende war.
Die Arroganz erreichte ihren Gipfel mit der Entfernung des Theologen von seinen Ämtern als Rektor wie als Hochschullehrer - ein politisches Schurkenstück mit erfundener IM-Figur, mit dem im November 1992 die wichtigste personelle Barriere weggeräumt wurde, die der Politik der Abwicklung und Massenentlassungen im Wege stand.
Finks Blick ist weniger auf das akademische Spitzenpersonal gerichtet. Er hat den zumeist namenlos gebliebenen studentischen Aktivisten ein Denkmal gesetzt, die am 17. Oktober 1989 den Prozess der demokratischen Umgestaltung der Hochschule eröffneten. Zu den Beigaben des Bandes, dem Daniela Dahn ein Vorwort schrieb, gehören drei Reden Finks: die zu seinem Amtsantritt, sodann eine gegen den Plan der Abwicklung ganzer Universitätsbereiche und schließlich eine Entgegnung auf die Anschuldigungen, mit denen die wahre Gründe der gegen ihn ausgesprochenen Kündigung bemäntelt werden sollten.
Der Autor verheimlicht die Illusionen nicht, mit denen er sein Amt antrat. Er hielt die Schaffung eines Typs von Universität für möglich, den es in deutscher Geschichte bis dahin nicht gegeben hatte. Dabei ließ er sich auf ein Kräftemessen mit Leuten ein, die die Humboldt-Universität wie alle ähnlichen Anstalten in Ostdeutschland nach dem Bild und Beispiel der in der Bundesrepublik existierenden und den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft genügenden Einrichtungen gestalten wollten. Da konnte er nur verlieren.
Scheitern bedeutet zwar momentane, doch nicht unbedingt dauernde Vergeblichkeit. Die gemachten Erfahrungen leben, wenn auch schwach, fort. Und selbst würden sie zeitweilig ganz vergessen, Historiker werden sie eines Tages wieder entdecken - nicht aus purer Neugierde, sondern weil der unaufhebbare Widerspruch zwischen Wissenschaft und Politik und insbesondere die der Wissenschaft verordnete Rolle einer Magd sie dazu herausfordern werden.
Heinrich Fink hat durch die Organisierung des Widerstandes die Abwicklungspolitik des Senats gebremst. Darüber macht er keine großen Worte. Doch eben dies kam einer vierstelligen Zahl von Angehörigen der Universität zu Gute. Denn viele hätten ohne Gegenwehr ihre Kündigungen früher erhalten und sich also eher auf Arbeitsämtern oder an ihrer Qualifikation widrigen Arbeitsplätzen wieder gefunden.
Heinrich Fink: Wie die Humboldt-Universität gewendet wurde. Erinnerungen des ersten frei gewählten Rektors, Ossietzky Verlag. 128 S., br., 12,50 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.