Weniger Brandenburger als gedacht
Meldedaten zeigen die tatsächlichen Einwohnerzahlen nicht zuverlässig
Wer bislang geglaubt hat, dass märkische Gemeindeverwaltungen die Zahl ihrer Einwohner in etwa kennen, der wurde gestern eines Besseren belehrt. Erstmals soll jetzt das Geld auf Grundlage realistischer Daten verteilt werden.
Die Koalitionsparteien SPD und LINKE beabsichtigen, die finanzielle Ausstattung der Kommunen neu zu regeln. Bei einer stichprobenartigen Volkszählung wurde festgestellt, dass die Zahl der gemeldeten Einwohner von der echten Bevölkerungszahl abweicht. Dies soll bei der Gelegenheit korrigiert werden, erklärte gestern der Landtagsabgeordnete Stefan Ludwig (LINKE). Es habe sich herausgestellt, dass es Orte gebe, die »Einwohnerzahlen angegeben haben, die nicht stimmen«. In diesen Fällen sei die Bemessungsgrundlage der Zuweisungen nicht richtig gewesen.
Es sei möglich, dass sich nun herausstellt, dass Brandenburg deutlich weniger als die bislang angenommenen knapp 2,5 Millionen Einwohner habe, bestätigte der Experte für Kommunalpolitik. Der Grund für die Falschangaben sei in den »Untiefen des Melderegisters« zu sehen. Unklar sei bisher gewesen, wer sich legal in einer Gemeinde aufhalte, wer gemeldet sei und wer nicht. Von einem schuldhaften Versagen der Behörden mochte Ludwig nicht sprechen. Auch »Bestrafungen« für möglicherweise »erschlichene« finanzielle Zuweisungen soll es nicht geben. »Zurückgezahlt werden muss nicht.«
Daneben wollen die Regierungsparteien die Kreise und kreisfreien Städte erstmalig entsprechend ihrer wirklichen Ausgaben für Jugend- und Sozialhilfe ausstatten. Angesichts der deutlichen Unterschiede bei den pflichtgemäß zu erbringenden Leistungen müsse man auf eine bedeutende Schieflage endlich reagieren, sagte der SPD-Abgeordnete Mike Bischoff. Für die Jahre 2014 und 2015 sind demnach zusammen 20 Millionen Euro zusätzlich für Jugend und Soziales vorgesehen. Bischoff zufolge sollen Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel 15 Euro pro Einwohner mehr erhalten, Cottbus soll elf Euro mehr bekommen. Die Stadt Potsdam, deren soziale Probleme deutlich geringer sind, bekäme einen Zuschlag von 7,5 Euro pro Einwohner. Zu den Kreisen, die stärker profitieren werden, zählte Bischoff die Prignitz, die Uckermark und Ostprignitz-Ruppin. Er unterstrich, dass bislang in keinem bekanntgewordenen Fall die notwendigen und angeordneten Leistungen der Jugend- und Familienhilfe, der Familienbetreuung oder der Heimunterbringung verweigert wurden. Besonders belastete Kommunen hätten sich jedoch für die Erfüllung dieser Pflichtaufgaben verschulden müssen. Dies solle mit dem neuen Zuschuss geändert werden.
Linksfraktionsvize Ludwig erläuterte, dass bisher besonders jene Landkreise unter hohen Soziallasten gelitten haben, die sich ohnehin in einer schwierigeren Lage befinden.
Obwohl es von Jahr zu Jahr deutlich weniger Jugendliche gibt, sind die Kosten für die Kinder- und Jugendhilfe in Brandenburg seit dem Jahr 2000 von 531 auf 709 Millionen Euro gestiegen. Dabei gibt es den Angaben zufolge auch von Kreis zu Kreis unerklärliche Unterschiede bei den Kosten für gleiche Leistungen. »Die freien Träge scheinen an einem sehr langen Hebel zu sitzen«, meinte Ludwig. Doch beginnen die Landräte in dieser Frage allmählich, »mit einer Stimme zu sprechen«.
Wenn das Jugendamt eine Maßnahme anordnet, dann wird in der Regel ein freier Träger damit beauftragt, Maßnahmen zum Kindeswohl zu ergreifen. Nach Ansicht der CDU-Abgeordneten Monika Schulz-Höpfner hat sich das Bewusstsein verändert. Es gebe jetzt mehr Anzeigen, die Nachbarn seien aufmerksamer.
Die Koalition verständigte sich außerdem, den sogenannten Demografiefaktor von drei auf fünf Jahre zu verlängern. Kürzungen bei den finanziellen Zuweisungen an die Kommunen, die eigentlich aufgrund von Bevölkerungsschwund fällig wären, werden um diese Frist verschoben, um die ohnehin durch den Bevölkerungsverlust benachteiligten Kommunen zu entlasten.
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