Gericht zwingt Hauptstadtflughafen zu besserem Lärmschutz

Schallschutzprogramm des Flughafens zu klein bemessen / Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe für BER-Betreiber

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Berlin (dpa/nd). Ein Gerichtsurteil beschert den Betreibern des künftigen Hauptstadtflughafens weitere Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschied am Donnerstagabend, dass die Anwohner besser vor Fluglärm geschützt werden müssen als es die Airportbetreiber beabsichtigt haben. Die Richter hatten den Betreibern schon im vergangenen Jahr vorgeworfen, die Regeln systematisch verfehlt und Anwohnern etwa nur unzureichende Schallschutzfenster bewilligt zu haben.

Anwohner und die Opposition im Potsdamer Landtag begrüßten das Urteil, Flughafenchef Hartmut Mehdorn reagierte mit Unverständnis. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), kündigte eine schnelle und gründliche Prüfung des Urteils an.

Das Oberverwaltungsgericht ließ keine Revision zu. Der Planfeststellungsbeschluss sei in der Frage des Schallschutzes eindeutig, sagte der Vorsitzende Richter Roger Fieting. Demnach darf Fluglärm die normale Gesprächslautstärke von 55 Dezibel in den 14 000 betroffenen Wohnungen tagsüber nicht überschreiten.

Das Schallschutzprogramm des Flughafens ist damit zu klein bemessen. Es war ursprünglich auf sechs mögliche Überschreitungen pro Tag angelegt und umfasste 139 Millionen Euro. Im vergangenen Sommer wurden weniger als 0,5 Überschreitungen angesetzt und das Programm um 305 Millionen Euro aufgestockt. Nun sind nach früheren Angaben des Aufsichtsrats möglicherweise weitere 286 Millionen Euro fällig, für die es keine Vorsorge gibt.

Flughafenchef Mehdorn kritisierte das Urteil. Das Schutzniveau sei schon jetzt sehr hoch, teilte er mit. Die Forderung des Gerichts sei in weiten Teilen lärmphysikalisch nicht umsetzbar. "Es hat zur Folge, dass für viele Anwohner gar keine Schutzmaßnahmen realisiert werden können, sondern sie mit Entschädigungen vorlieb nehmen müssen", sagte Mehdorn.

Dieses Verfahren greift, wenn die Kosten für den Schallschutzanspruch 30 Prozent des Verkehrswertes eines Hauses übersteigen. Der Flughafen erwartet, dass dies auf die Mehrzahl der Häuser zutrifft. Ihren Besitzern überweist der Flughafen eine Entschädigung, über die diese frei verfügen können.

„Es ist traurig, dass die Bürger in Brandenburg nur über den Klageweg zu ihrem Recht kommen“, erklärte Rainer Genilke, infrastrukturpolitischer Sprecher der brandenburgischen CDU-Fraktion. Noch am Mittwoch habe Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD) erklärt, dass seine Behörde fehlerfrei gearbeitet habe - das sei nun ein weiteres Mal widerlegt.

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Potsdamer Landtag, Axel Vogel, nannte das Urteil eine doppelte Blamage für Platzeck: Für ihn als Aufsichtsratsmitglied und als Ministerpräsident. „Die Komplizenschaft zwischen Flughafengesellschaft und Infrastrukturministerium wird nun hoffentlich ein Ende haben“, erklärte Vogel.
Platzeck erklärte in einer ersten Reaktion, mit dem Entscheid des Oberverwaltungsgerichts sei es nun an der Planfeststellungsbehörde und an der Flughafengesellschaft, schnell und gründlich die weiteren Schritte zu prüfen.

Bis zum vergangenen Herbst hatten sich die Kosten für den neuen Hauptstadtflughafen im Laufe der Bauzeit auf 4,3 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Dass sie weiter steigen, wird erwartet, seit auch der für 2013 geplante Eröffnungstermin wegen der Probleme auf der Baustelle platzte.

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