Offenbar Fehler bei Platzauslosung in NSU-Prozess
ARD-Bericht über Lose im falschen Korb / Zeitungen erwägen Klage / Freier Journalist zieht nach Karlsruhe
München (dpa/nd). Im Gezerre um die Presseplätze beim Münchner NSU-Prozess gibt es neue Vorwürfe. Nach einem Bericht der ARD-"Tagesschau" vom Dienstag landete die Bewerbung des MDR-Hörfunks versehentlich im Korb für die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Außerdem sei in diesem Topf das Los eines freien WDR-Mitarbeiters gewesen, der zunächst nicht mitbekommen hatte, dass sich die ARD als Pool bewirbt. Als er dies erfuhr, habe er seinen Antrag auf Akkreditierung zurückgezogen, doch seine Bewerbung sei im Loskorb geblieben - und wurde auch gezogen.
Beim Oberlandesgericht München war zunächst keine Bestätigung zu bekommen. "Wir überprüfen es noch", sagte OLG-Sprecherin Andrea Titz. Wahrscheinlich werde sich das Gericht nicht vor Donnerstag äußern können.
Die umstrittene Platzvergabe im NSU-Prozess beschäftigt ein weiteres Mal das Bundesverfassungsgericht. Am Dienstag ging in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerde des freien Journalisten Martin Lejeune ein, wie das Gericht bestätigte. Er hatte seine Reservierung aus dem ersten Akkreditierungsverfahren bei der Neuverlosung der Plätze am Montag verloren. Die "Welt"-Gruppe und die "Zeit" wollen hingegen vorerst auf eine Klage verzichten, um den Prozessbeginn am 6. Mai nicht zu gefährden. Die ARD-"Tagesschau" berichtete von mehreren Pannen bei der Auslosung.
Lejeune rügt unter anderem, dass "den im vorigen Vergabeverfahren erfolgreichen Journalisten der Platz nicht einfach wieder weggenommen werden" dürfe. Das Oberlandesgericht München hatte die Presseplätze per Los komplett neu verteilt, nachdem das Verfassungsgericht die ursprüngliche Vergabe nach zeitlicher Reihenfolge der Anfragen beanstandet hatte. Im ersten Anlauf waren keine türkischen Medien zum Zug gekommen, obwohl acht von zehn Mordopfern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) aus der Türkei stammten.
"Zeit" und "Welt" hatten - wie auch der Berliner "Tagesspiegel" und die "tageszeitung" (taz) - rechtliche Schritte erwogen. Alle waren beim Losen leer ausgegangen. "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo sagte aber am Dienstag dem Radiosender Bayern 2, jede Klage würde den Prozessbeginn weiter verzögern. "Wir werden darauf verzichten (...) weil es ein viel höheres Gut gibt als unsere eigene Zufriedenheit, nämlich, dass die Angehörigen der Mordopfer endlich ihrem Verfahren beiwohnen können."
Der Chefredakteur der "Welt"-Gruppe, Jan-Eric Peters, teilte mit, eine spätere Klage sei "wegen des Präzedenz-Charakters" keineswegs ausgeschlossen. "Das Auswahlverfahren des Münchner Gerichts hat gravierende Mängel mit absurden Folgen offenbart, die uns bei einer Klage gute Chancen eröffnen."
Die "Tagesspiegel"-Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt erklärten, dass sie eine Klage erwägen. Das Losverfahren sei unnötig, sein Ergebnis lächerlich. "Dass ausgerechnet beim größten Neonazi-Prozess seit Jahrzehnten die Redakteure mit der größten Kompetenz und Erfahrung auf diesem Gebiet nicht zugelassen sind (...), das ist eine Farce."
Einige der Redaktionen ohne feste Reservierung können unter Umständen trotzdem aus dem Gerichtssaal berichten, denn Tauschen ist diesmal erlaubt. Die dpa-Gruppe etwa stellt einen der ihr zugelosten Plätze den Nachrichtenagenturen Agence France-Presse (AFP) und Thomson Reuters für eine gemeinsame Poolberichterstattung zur Verfügung. Die Online-Redaktion der Frauenzeitschrift "Brigitte" will ihren Platz verlagsintern mit dem Magazin "Stern" teilen.
Die Rechtsanwältin Angelika Lex - sie vertritt die Witwe eines NSU-Mordopfers als Nebenklägerin - befürchtet nun eine erneute Prozessverschiebung. "Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir wieder Unsicherheit haben, ob das Verfahren tatsächlich am nächsten Montag beginnen kann", sagte Lex dem Bayerischen Rundfunk. Der Hauptangeklagten Beate Zschäpe wird Mittäterschaft vorgeworfen. Angeklagt sind außerdem vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer.
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