Piraten auf dem Weg zur Insel?

Heute beginnt der Bundesparteitag

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf ihrem heute beginnenden Parteitag will die Piratenpartei ihren Niedergang stoppen und den Bundestagswahlkampf vorbereiten. Doch die einst dynamisch gestartete Partei steckt in einer tiefen Krise. Geschäftsführer Ponader geht endgültig, Parteichef Schlömer wird sich wohl massiver Kritik stellen müssen.

Es liegen Welten zwischen dem Damals und dem Heute - dabei ist es kaum ein Jahr her, seit die Piraten in den nordrhein-westfälischen Landtag einzogen. Es war das vierte geenterte Landesparlament nach Berlin, dem Saarland und Schleswig-Holstein. In bundesweiten Umfragen lag die frische, freche Partei bei zehn bis dreizehn Prozent. Sie schienen mit den Grünen um Platz drei im deutschen Parteiensystem zu konkurrieren - hinter SPD und Union.

Der Einzug in den Bundestag erschien da als reine Formsache und die Oppositionsbank nur als kurzes Intermezzo. Oberpirat Bernd Schlömer jedenfalls wähnte seine Partei auf Kurs in Richtung Ministerposten: »In zwei Jahren« (2014 also) sei man regierungsfähig, prophezeite der Parteichef, der damals Schlagzeilen machte, sobald er die CDU würdigte, die SPD rügte oder ankündigte, auf Kulturschaffende und Kulturindustrie zugehen zu wollen.

So war das damals, im Mai 2012. Heute dümpelt die Partei dahin. Wenn die Sonntagsfrage gestellt wird, landet man eher bei zwei als bei fünf Prozent. Schlagzeilen macht sie allenfalls mit Streit, Shit-Stürmen und zuletzt einer so genannten Stinkefinger-Affäre, bei der zwei Dutzend Parteimitglieder ihren Vorsitzenden Schlömer mit obszönen Gesten beleidigten, sich dabei ablichten ließen und das entsprechende Foto über den Nachrichtendienst »Twitter« für alle Welt zugänglich machten. Weshalb Schlömer eine »Treibjagd« auf seine Person erkannte und das seinerseits jedermann mitteilte. Eine »Treibjagd« wie die auf Johannes Ponader, den ins Abseits gemobbten Bundesgeschäftsführer.

»Uns fehlt die Kraft und die Motivation für den Wahlkampf«, hatte Schlömer in einem Interview mit der Grünen-nahen »taz« gesagt und Entrüstung ausgelöst. Schlömer fügte an, er hoffe, dass sich beides noch kommen werde. Die Kraft also. Und die Motivation. So ziemlich die letzte Chance zur gegenseitigen Motivation, zum kollektiven Kraftschöpfen und zum gemeinsamen Ponader-Bashing hat Schlömers Truppe von heute an bis Sonntag. Rund 1500 Piraten und Piratinnen treffen im oberpfälzischen Neumarkt aufeinander - zum letzten Parteitag vor der Bundestagswahl am 22. September.

Johannes Ponader wird da endgültig sein Amt zur Verfügung stellen. »Wir hätten besser kommunizieren müssen, nicht immer über Twitter«, war eines der letzten Bekenntnisse des Sündenbocks, dem nicht nur Bernd Schlömer nachsagt, er habe der Partei massiv geschadet. Falsche Kommunikation, falsche Person: Die Piraten argumentieren schon ganz wie die alteingesessenen Politikos, wenn es gilt, schlechte Umfragewerte weg zu erklären.

Aber worum wird es inhaltlich gehen in Neumarkt? Eine entsprechende Anfrage lässt Vorsitzender Schlömer, dessen Partei nicht müde wird, sich über mediales Desinteresse an Inhalten zu beklagen, tagelang unbeantwortet.

Ein Blick in das gut 826 Seiten starke virtuelle Antragsheft offenbart derweil ein allzu buntes Sammelsurium von Sinnvollem zu Skurrilem. Debattiert werden sollen 32 Änderungsanträge zum 2012 beschlossenen Grundsatzprogramm und 42 zur Satzung, ferner 14 »Positionspapiere« und 22 »sonstige Anträge«, gleichsam unter »ferner liefen« 178 Anträge zum Wahlprogramm, deren erster mit den Worten »Verrückt ist auch normal!« überschrieben ist.

Vier Monate vor der Bundestagswahl nehmen sich erstaunlich viele Antragsteller Zeit für Strukturfragen, angetan hat es ihnen insbesondere die heftig umstrittene »Ständige Mitgliederversammlung«. Die soll wie ein Parteitag verbindliche Beschlüsse fassen dürfen - allerdings via Internet. Die dazu gehörige Software »Liquid Feedback« verspricht viel, aber eines gewiss nicht: dass sie eine geheime und doch transparente, also demokratische Wahl jenseits des klassischen Wahllokals mit Wahlvorstand, Wahlzettel und Wahlurne ermöglicht.

Auf der ambitionierten Agenda des Parteitages steht nicht zuletzt eine Satzungsänderung, die eine Nachwahl einzelner Vorstandsmitglieder ermöglichen soll. Dann folgt die Nachwahl selbst - immerhin haben neben Ponader zwei weitere der ursprünglich neun Vorstände ihr Amt niedergelegt. Schließlich beschäftigen sich noch drei Anträge damit, nicht nur Ponader, sondern auch das Amt des Bundesgeschäftsführers zu entsorgen.

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