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Gehst du Hamburg?

Angestellte Lehrer brauchen endlich einen Tarifvertrag, findet die GEW - und errichtet diese Woche ein Streikcamp in Mitte

  • Malene Gürgen
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer als Lehrer ein Problem mit der Lärmbelastung in seinem Beruf hat, wird sich davon auch an diesem Streiktag nicht erholen können: Auf dem Protestcamp am Molkenmarkt unweit vom Alexanderplatz ist es ziemlich laut. Mit Trommeln und Trillerpfeifen bringen die gut 600 Lehrer ihren Protest gegen die ungleiche Bezahlung von verbeamteten und angestellten Lehrern zum Ausdruck. Es ist der Auftakt einer ganzen Streikwoche, zu der die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen hat. Lehrer von etwa achtzig Schulen sind an diesem ersten Tag dabei, jede neu eintreffende Gruppe wird mit Jubel begrüßt. Gemeinsam geht es in einem Demozug vor die Senatsverwaltung für Finanzen. Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) weigert sich bisher, über den von der GEW geforderten eigenen Tarifvertrag für angestellte Lehrer und die Angleichung ihrer Bezahlung an die der verbeamteten Kollegen zu verhandeln.

»Ich arbeite seit zwei Jahren als angestellte Lehrerin, die Bedingungen sind katastrophal«, erzählt Henny Schmied. Sie unterrichtet Englisch und Kunst am Gymnasium Steglitz und trägt heute ein T-Shirt mit der Aufschrift »Angestellte Lehrkraft - an mir spart Berlin«. Überall würden nur Mängel verwaltet und Mittel fehlen, sagt sie. »Ich verliere langsam die Loyalität gegenüber meinem Arbeitgeber, weil der seine Sorgfaltspflicht verletzt«, so Schmied.

Ungerecht behandelt fühlt sich auch Robert, der als angestellter Lehrer Mathematik und Chemie unterrichtet und seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will. »Wenn ich sehe, dass mein verbeamteter Kollege für die gleiche Arbeit mit deutlich mehr Geld nach Hause geht, finde ich das einfach unfair«, sagt er. Für ihn ist klar: Wenn sich die Situation nicht ändert, geht er weg aus Berlin. »Meine Familie und ich wollten eigentlich schon zum Jahresanfang umziehen, nach Mecklenburg-Vorpommern oder Baden-Württemberg, wo ich verbeamtet werden kann«, sagt er. Nur der momentane Arbeitskampf bringe ihn dazu, doch noch ein wenig auf Veränderungen in Berlin zu warten.

Auch bei anderen Streikenden spielt das Thema Umzug eine Rolle. »Ey, gehst du Hamburg?« steht auf einem Plakat, andere unterhalten sich über Arbeitsmöglichkeiten in Stuttgart. »Wir sind in einer guten Verhandlungsposition, denn Berlin braucht uns«, sagt auch Henny Schmied. Nun müsse sich der Senat bewegen.

Seit 2003 werden Lehrer in Berlin nicht mehr verbeamtet. Etwa 8000 angestellte Lehrer gibt es mittlerweile in Berlin, für die fordert die GEW nun einen Tarifvertrag. Ein weiterer Streikgrund ist die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, um die krankheitsbedingten Ausfälle zu senken.

Dieter Haase aus dem Landesvorstand der GEW ist zufrieden mit dem Verlauf des ersten Streiktages. »600 Leute sind ein guter Anfang, und im Laufe der Woche werden sicher noch mehr dazukommen«, sagt er. Während am Montag vor allem die integrierten Sekundarschulen zum Streiken aufgerufen waren, stehen am Dienstag und Donnerstag die Grundschulen und am Mittwoch die Oberstufenzentren auf dem Programm. Am Freitag sollen dann alle Schulformen bestreikt werden.

Große Probleme für die in dieser Woche anstehenden mündlichen Abiturprüfungen sieht Dieter Haase nicht: »Die Schulen müssen oft viel schlimmere Ausfälle ausgleichen. Ich bin mir sicher, dass jede Berliner Schule das gut organisieren kann«. Im schlimmsten Fall müssten die Prüfungen eben um ein paar Tage verschoben werden. Die GEW hatte beschlossen, dass den Schülern durch den Streik keine Nachteile entstehen dürften, die Verantwortung dafür aber die jeweilige Schule trage.

Am Rückert-Gymnasium im Stadtteil Schöneberg etwa wurden tatsächlich einige mündliche Prüfungen auf den Mittwoch und Donnerstag verschoben. Die Situation sieht man dort aber ganz gelassen: »Sowohl von Lehrer- als auch von Schülerseite gibt es viel Verständnis für unsere neun streikenden Kollegen«, sagt Schulleiter Jörg Balke. Der ein oder andere Schüler werde sich sicher auch über etwas mehr Vorbereitungszeit freuen. »Im Notfall hätte auch ein anderer Lehrer die Prüfung übernehmen können, für die Schüler ist diese Lösung aber besser«, so Balke. Wie viele Prüfungen insgesamt in Berlin durch den Streik verschoben werden mussten, ist nicht bekannt.

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