Wandel durch Demografie

Zweiter Gipfel der Bundesregierung von kritischen Kommentaren der Opposition begleitet

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 2 Min.
Zu ihrem zweiten Demografiegipfel hatte die Bundesregierung am Dienstag eingeladen. Die Bundeskanzlerin hielt eine Rede, Analysen und Ratschläge von Fachleuten wurden debattiert. Der Nutzen der Veranstaltung bleibt umstritten.

Die demografische Entwicklung eines Landes ist von ähnlich weitreichenden Folgen wie die des Wetters oder das Internet. Nichts bleibt davon unberührt. Der zum zweiten Mal einberufene Demografiegipfel der Bundesregierung am Dienstag in Berlin fand deshalb eine große mediale Aufmerksamkeit. Zugleich ist die Bewertung der Oppositionsparteien recht einhellig und in einem Wort zu bündeln: Showveranstaltung. »45 Gipfel in 45 Monaten ist die Bilanz«, erklärte SPD-Vizevorsitzende Manuela Schwesig. Brauchbare Ergebnisse habe es dabei nicht gegeben. Der aktuelle Demografiegipfel verdeutliche diese Misere. »Viele Worte und wenig Inhalt. Statt den Fokus auf die Menschen zu richten, wird wieder einmal nur an die Unternehmen und die Wirtschaft gedacht«, so klingt dies von Seiten des familienpolitischen Sprechers der Linksfraktion, Jörn Wunderlich. Renate Künast ist auf ihre typische Weise lakonisch: »Ein neuer Tag, ein neuer Gipfel.« Die Bundeskanzlerin irre kopf- und konzeptlos durch das Thema, so die Fraktionsvorsitzende der Grünen.

Das Problem dürfte ein zweifaches sein. Die Fülle der zu bedenkenden Folgen einer zunehmenden Alterung der Gesellschaft ist immens - etwa in der Pflege, bei der Finanzierung von Gesundheits- und Rentensystemen oder der Entwicklung immer spärlicher besiedelter Regionen. Stichworte, die zur Bewältigung oder wenigstens Eindämmung genannt werden, sind etwa eine bessere Ausschöpfung der Potenziale in Deutschland durch den gleichberechtigten Zugang von Frauen in Bildung und Arbeit, durch die bessere Förderung von Migranten, durch bessere Bildungsangebote oder durch Zuwanderung.

Niedrige Geburtenzahl

Die Zahl der Geburten in Deutschland ist im vergangenen Jahr zwar leicht um ein Prozent auf rund 670 000 Neugeborene gestiegen. Das ist jedoch noch immer die drittniedrigste Rate hierzulande - nur 2011 und 2009 gab es noch weniger Entbindungen. Das geht aus vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Da die Zahl der Gestorbenen tendenziell zunimmt, meinen die Statistiker, wird die Lücke zwischen beiden Verlaufsgrößen wachsen. So sind 2012 in Deutschland fast 900 000 Menschen gestorben - also deutlich mehr, als Säuglinge geboren wurden.

Für einen zunehmenden Ausgleich der Bevölkerungsentwicklung sorgt allerdings die weiter gestiegene Zahl an Zuwanderern. So sind im vergangenen Jahr fast eine halbe Million Menschen mehr nach Deutschland eingewandert als umgekehrt aus Deutschland auswanderten. Folge der Grenzöffnung im Osten, der Jugendarbeitslosigkeit im Süden und des wachsenden Fachkräftemangels im Westen Europas. Da sich unter den Migranten zunehmend auch junge Mädchen im gebärfreudigsten Alter (26 bis 35) befinden, könnte dies die Vorausberechnungen der Statistiker entdramatisieren. Diese gehen davon aus, dass die Geburtenzahl weiter sinken und um das Jahr 2030 erstmals unter die Grenze von einer halben Million fallen wird. Grund ist weniger die nachlassende Gebärfreudigkeit als die Tatsache, dass die ersten geburtenschwachen Jahrgänge dann selbst ins Elternalter kommen.

Roland Bunzenthal

Andererseits beschreibt Demografie Entwicklungen einer Gesellschaft mit dem Ziel, Gegenkonzepte zu entwickeln. Sofern diese nur im Rahmen des Systems gesucht werden, das sie selbst verursacht hat, bleiben sie Stückwerk, selbst wenn sie mit mehr Engagement entwickelt werden, als das die Opposition der Regierungskoalition zutraut. Die Gesellschaftsstrategie zur Privatisierung von Kosten und Risiken führt dazu, dass Demografie nicht nur zum Gradmesser für Wandel wird, sondern zu seinem Auslöser. Die Gefahren werden als sich selbst verwirklichende Prophezeiung behandelt, und mit der Einführung einer privaten Altersvorsorge, ohne die künftig kein heute noch junger Mensch über ein Alterseinkommen oberhalb der Armutsgrenze verfügen wird, hat die Politik schon zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung Weichen für eine folgenschwere Entwicklung gestellt. Der Vorwurf von Jörn Wunderlich richtet sich dennoch an die Bundesregierung allein: »Statt den Fokus auf die Menschen zu richten, wird wieder einmal nur an die Unternehmen und die Wirtschaft gedacht.« Wunderlich zeigt sich überzeugt, dass der demografische Wandel »solidarisch gestaltet werden« könne. Dafür brauche es eine familiengerechte Arbeitswelt, keine arbeitsgerechte Familienwelt.

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