Nichts zu lachen beim OLG

Verteidigung der NSU-Angeklagten setzt ihre Antragsoffensive fort

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Am dritten Verhandlungstag des NSU-Prozesses vor dem Münchner Oberlandesgericht sollte eigentlich die Beweisaufnahme beginnen. Mit Spannung wartete man auf Aussagen des Angeklagten Carsten Schultze. Doch die Verteidigung reihte routiniert Antrag an Antrag.

Das war zunächst der Tag von Nicole Schneiders. Sie ist Anwältin des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Ralf Wohllebens und - wie bereits mehrfach berichtet - in der rechtsextremen Szene seit Jahren gut unterwegs. Sie beantragte die Aussetzung des Verfahrens.

Erstens, weil die übergebenen Akten unvollständig seien. So »warmgelaufen«, monierte Schneiders, dass »Presseorgane wörtlich aus Ermittlungsakten zitiert« hätten. Ein »faires und rechtsstaatliches Verfahren« sei so »nicht mehr möglich«. Zschäpe habe man als »Nazi-Braut«, Wohlleben als »Terrorhelfer« bezeichnet. Sogar offizielle staatliche Stellen betrachteten die NSU-Mordserie als »Fakt«. Auch dass Straßen nach NSU-Opfern benannt worden sind, befand Schneiders als prozessunfreundlich.

Der Medientrick

Dann aber fand die Rechts-Expertin Medien wiederum ganz nützlich und verwies auf einen Bericht über einen angeblichen V-Mann namens Mehmet K., der beim Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel eine Rolle gespielt haben könnte. Die Spur führe ins Geheimdienstmilieu, hatte ein »Enthüllungsmagazin«, geschrieben. Dessen aktuelle Titelgeschichte »Beate Zschäpe - Allein unter Wölfen« lautet. Kurzum, Schneiders meinte, ihr einstiger Chef in der Jenaer NPD-Führung und heutiger Mandant sei vorverurteilt. Also bleibe nur die rechtstaatliche Einstellung des Verfahrens.

Der Medientrick ist uralt. Ein Anwalt der Nebenkläger - Thomas Bliwier - bezeichnete ihn auch als unbegründet. Der Jurist zeigte sich überzeugt, dass das Gericht den Prozess mit der gebotenen Unabhängigkeit führen kann - egal, was und wie Medien berichten.

Als Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer dann »mal wieder« einen Antrag formulierte, wurde gelacht. Das sei »unerträglich«, sprang Anwaltskollege Wolfgang Sturm ihm zur Seite und forderte »Lachverbot«. Die Atmosphäre wurde gereizt. Immer öfter registrierten unsere Partner im Saal Wortgefechte zwischen der Verteidigung und dem Gericht. Der Versitzende, so wurde berichtet, versuchte angestrengt, sich nicht provozieren zu lassen.

Auch Rechtsanwalt Heer machte geltend, dass die Anklage nicht alle Akten übergeben habe. Er forderte »Waffengleichheit« zwischen Verteidigung und Anklage. Weiter verlangte er Kopien aus parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Bis zu den geforderten Nachlieferungen beantragte er die Aussetzung des Prozesses oder dessen Unterbrechung für die gesetzliche Höchstfrist von drei Wochen.

Misstrauen zuhauf

Nächster Angriff auf den Prozessfortgang: Die Verteidigung misstraute der Oberstaatsanwältin Anette Greger. Das Oberlandesgericht kann die Entscheidung über deren Verbleib im Anklageteam nicht treffen. Das obliegt Generalbundesanwalt Range. Nur er kann die Juristin austauschen. Die Vertreter der Angeklagten verlangen auch, den gesamten Prozess auf Bild- und Tonträgern aufzuzeichnen. Man erwarte die Daten am jeweils nächsten Tag auf dem Tisch. Zusätzlich will man, dass Stenografen des Deutschen Bundestags nach München abgeordnet werden, um Wortprotokolle zu führen.

Bis zum Zeitpunkt dieser Antragsstellung war noch immer nicht über einen Vorschlag von Richter Götzl beraten worden. Er hatte bereits am Vortage angeregt, den Tatkomplex »Keupstraße« vom restlichen NSU-Verfahren abzutrennen. Verfahrenstechnisch wäre das denkbar, denn mit dem Bombenanschlag, bei dem 22 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, ist vermutlich nur Zschäpe zu belasten. Die meisten Nebenkläger wollen dem Vorschlag nicht näher treten.

Mit Spannung war für Mittwoch die Aussage von Carsten Schultze erwartet worden. Der hatte die Ceska-Mordwaffe beschafft und war bei Vernehmungen durch die Bundesanwaltschaft recht auskunftsbereit. Von ihm erhoffte man Hinweise auf die Rolle, die Zschäpe in dem NSU-Trio gespielt hat. Doch Schultze wurde bis zum Ende der Verhandlung um 17 Uhr nicht aufgerufen.

Was war sonst noch wichtig am dritten Verhandlungstag? Richter Götzl hob das »Semmelverbot« auf. Nun dürfen Zuhörer und Berichterstatter Brötchen und Snacks in den Saal mitnehmen.

Zwei Meldungen am Rande

In der Nacht zum Mittwoch ist das Mahnmal für die Opfer des NSU in Nürnberg mit rechtsradikalen Aufklebern geschändet worden. Und: 2012 wurden vom Generalbundesanwalt wegen des Verdachts auf rechtsterroristische Straftaten 14 Ermittlungsverfahren gegen 21 Beschuldigte und ein Verfahren gegen Unbekannt neu eröffnet. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag hervor.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.