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Marktkonformes Demonstrationsrecht
Die internationale Solidarität von Blockupy brach mit den Regeln der Macht
Am 1. September 2011 bekam Angela Merkel im Bundeskanzleramt Besuch vom portugiesischen Ministerpräsidenten. Dem sagte sie, was heute, nach dem offenen Ausbruch der Finanzkrise 2007, den Verlierern in die Visage zu geigen ist: Natürlich freue sie sich über die »tiefgreifenden Strukturreformen in Portugal«, um die »Wettbewerbsfähigkeit und die finanzielle Situation« des Landes zu verbessern. Auch deutsche Unternehmen haben sicherlich Interesse, so die Kanzlerin gut gelaunt, »wenn es um die Privatisierungsprogramme Portugals geht«. Schon allein deshalb werde man selbstredend »in einem engen Kontakt bleiben«.
Im Verlaufe der Plauderei auf der Pressekonferenz, in der sich der portugiesische Ministerpräsident immer wieder bei Frau Merkel für »Hilfe« bedanken durfte, warf ein fragender Journalist eine Frage ein. Ob denn die Frau Bundeskanzlerin nicht »um die Schlagkraft des EFSF«, sprich: der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, einem Mechanismus zur Regelung der Schuldenkrise, fürchte, »wenn der Bundestag und alle anderen nationalen Parlamente in Europa demnächst bei allen wichtigen Entscheidungen vorab mitbestimmen wollen«. Frau Merkel antwortete prompt, indem sie im O-Ton ihre Hoffnung ausdrückte »die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass sich auf den Märkten die entsprechenden Signale ergeben.«
Diese Formulierung sollte in der Folge unter dem Begriff der »marktkonformen Demokratie« einiges an Popularität gewinnen. Die wesentlich aus professionellen Germanisten besetzte Jury der Kommission »Unwort des Jahres« erkannte in dieser Wortverbindung, die von Merkel in der Öffentlichkeit »entweder gedankenlos oder mit kritikwürdigen Intentionen verwendet« worden war, eine »höchst unzulässige Relativierung« des von ihnen als »absolut« verstandenen Prinzips der Demokratie. Eben diese werde von Merkel durch den »Anspruch von Konformität mit welcher Instanz auch immer« herabgewürdigt. Das stehe, so die Sprachforscher für eine »bedenkliche Entwicklung der politischen Kultur.« So kann man das sehen und es ist die Pflicht von Sprachforschern vor gefährlichen und beunruhigenden Entwicklungen in der Gesellschaft zu warnen.
Gleichwohl bestimmt die Kanzlerin die Richtlinien der deutschen Politik. Das buchstabiert sich quer durch die gesellschaftlichen Subsysteme durch und insofern ist jedes ihrer öffentlich gesprochenen Worte allemal auch von denen zu bedenken, die sich politisch engagieren. Diese Erfahrung konnten am letzten Wochenende 15.000 DemonstrantInnen aus allen Spektren der institutionellen wie außerparlamentarischen Linken in Frankfurt anlässlich der Abschlussdemonstration im Zusammenhang der Blockupy-Aktionstage machen. Ihre politische Agenda bestand erklärtermaßen in einer fundamentalen Ablehnung jeder Marktkonformität des gesellschaftlichen Lebens.
Nicht-kapitalismuskompatibler Protest
Ganz vorbildlich wie umtriebige DemonstrantInnen in der Konsummeile Zeil am Freitag durch Präsenz und Protest für ein »shut down« einer ganzen Reihe von Läden der Billigbekleidungsdiscounter sorgten: »Eure Mode ist so fesch wie der Tod in Bangladesch!« Solche richtigen Aussagen sind alles Mögliche, sehr human, aber wenn auch sie mit dafür sorgen, dass es zu Umsatzeinbußen bei den Adressierten kommt, dann sind sie definitiv nicht marktkonform. Solche »entsprechenden Signale an die Märkte«, um hier Angela Merkel zu zitieren, können politisch nicht hingenommen werden. Das ist ein ganz wesentlicher Grund dafür, warum die Großdemonstration am Samstag eine ultimative Bekanntschaft mit der »Schlagkraft« der deutschen Polizei machte. An der kann genauso wenig gezweifelt werden wie an der Eskalationsbereitschaft des EFSF, mit denen die Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerungsschichten bislang noch in Südeuropa stranguliert werden. Und so stellte der kühl kalkulierte Großeinsatz der Polizei zum Zwecke der Räumung eines Kessels, wo schon am ausgesuchten Ort vorher die Dixi-Klos für die Eingekesselten vorbereitet worden waren, einen »engen Kontakt« zu den Demonstranten her. Mit dem Ergebnis von etwa 200 Verletzten, davon zwei sehr schwer.
Die Frankfurter Rundschau empört sich nun über einen »schwarzen Tag für die Demokratie«. Mit Verlaub: Ob die Blockupyistas eigentlich für die Demokratie demonstrieren wollten, das weiß niemand. Was man aber weiß, dass ihr politisches Anliegen definitiv nicht marktkonform ist und nicht sein soll. Damit hatten sie sich aus der Sicht der Polizei, des zuständigen Landesinnenministeriums in Wiesbaden, aber auch von Angela Merkel außerhalb des Schutzes eines nun auch notwendig marktkonform angepassten Demonstrationsrechtes gestellt. Daraus ist für die Zukunft zu lernen.
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