»Beate hatte Kuchen gebacken«

Ein Angeklagter spricht über seine Freundschaft zu den NSU-Mördern

  • René Heilig, München
  • Lesedauer: 3 Min.
Chefankläger Harald Diemer meint, mit der gestrigen Beweisaufnahme »ein großes Stück« vorangekommen zu sein - auch wenn der mutmaßliche NSU-Unterstützer Holger Gerlach nur bestätigt habe, was er in vorangegangenen Vernehmungen zugegeben hatte. Er sagte am Donnerstag aus.

Es ist - wie so oft - das Banale, das so schockiert. Nachdem der Angeklagte Carsten Schultze vor dem Münchner Oberlandesgericht zwei Tage lang sein Coming-out als schwuler junger Mann beschrieben hatte, ohne dass er im gleichen Maße Nachdenken über seine Taten und seine politischen Motive erkennen ließ, kam gestern der zweite aussagebereite Angeklagte zu Wort.

Holger Gerlach wurde 1974 geboren, wuchs in Jena auf, zog ob der Perspektivlosigkeit in Thüringen in die Gegend von Hannover. Das, was er über seine schwere Kindheit und Jugend in deutsch-deutschen Umbruchzeiten erzählte, können vor allem Ostdeutsche seines Alters nachvollziehen. Welchen Wert das aber für die Zumessung von Schuld haben wird, müssen die Richter erst noch klären. Und dazu zahlreiche Fragen stellen. Gestern ließ sich der Angeklagte zu den Tatvorwürfen jedoch nicht befragen. Stattdessen verlas er aufgeregt eine Erklärung, die mit »So ist Freundschaft« überschrieben werden könnte.

Nie und nimmer habe er sich vorstellen können, dass seine Freunde Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und die hier in München ebenfalls angeklagte Beate Zschäpe solche Verbrechen verüben könnten wie jene, die hier zur Beurteilung anstehen. Und natürlich hat sich Gerlach niemals als Mitglied oder Helfer einer rechtsex-tremistischen terroristischen Vereinigung gesehen.

Er versuche noch immer, das Bild, das er von seinen Freunden habe, mit jenem in Einklang zu bringen, das die Bundesanwaltschaft zeichne. Gerlach bestätigte immerhin, dass man die gängige Politik habe verändern wollen. Deshalb habe es unter den Freunden sogenannte Richtungsdiskussionen gegeben. Gewalt ja oder nein, lautete dabei die Kernfrage. Die jedoch rein »theoretisch« erörtert worden sei.

Ja, Gerlach hat die Freunde unterstützt, gab ihnen seinen Pass, besorgte eine Krankenkassenkarte für Beate Zschäpe. Er habe sich nicht vorstellen können, dass das Trio mit seinem Führerschein Wohnmobile mietet, um Menschen umzubringen, sagte der Angeklagte und wiederholte zum x-ten Male: »Ich fühlte mich gegenüber den Dreien verpflichtet.« Und die hätten auch immer wieder versichert, die Papiere seien nur für den Notfall. Sie würden schon keinen »Scheiß« damit machen.

Wütend sei er nur geworden, als ihm der Mitangeklagte Ralf Wohlleben einen Beutel für die Drei gegeben hatte, den er nach Zwickau bringen sollte. Darin war eine Waffe. Mundlos habe sie gleich durchgeladen, obwohl er wie alle wusste, dass Gerlach Waffen nicht mochte.

Kommentarlos habe er jedoch akzeptiert, dass sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe für ein Leben im Untergrund entschieden. Entsprechend konspirativ seien die regelmäßigen Treffen gewesen, die es bis zum Ende gegeben habe. Doch man habe sich ganz normal in der Öffentlichkeit bewegt, habe Billard gespielt, sei essen gegangen oder in die Kneipe.

Besprochen wurden nur private Dinge. Die Drei hätten von ihren Urlauben und Bekanntschaften berichtet, man sprach über alte Zeiten, trank Bier und spielte Doppelkopf, sagte Gerlach. Einmal standen die Freunde unangemeldet vor der Tür seiner Wohnung bei Hannover. »Beate hatte extra einen Kuchen gebacken.« Doch dann sei es um einen neuen Pass gegangen, weil der alte abgelaufen war. Als Gerlach, wie er sagte, nicht mittun wollte, habe Mundlos gedroht: Wenn wir mit dem alten auffliegen, bist auch du dran... Zur Wahrheit gehört wohl auch, dass das Trio Gerlach 10 000 Mark zur Aufbewahrung gegeben hat, die der dann aber ob seiner Spielsucht durchbrachte.

Trotz anderer Erkenntnisse - Gerlach wollte Glauben machen, seit 2004 aus der Neonaziszene ausgestiegen zu sein. Die Drei hätten das akzeptiert. Auch wenn die politische Überzeugung verloren gegangen sei - »die Freundschaft blieb«, bekannte Gerlach und will sich erinnern, dass auch die drei Freunde »wesentlich entspannter als in früheren Jahren gewirkt haben«. Beate Zschäpe, die unmittelbar vor Gerlach saß, verzog kaum eine Miene. Entspannt aber wirkte sie wahrlich nicht.

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