16 Forscher auf sechs Eisschollen
Atomeisbrecher Jamal bringt die geretteten russischen Wissenschaftler nach Murmansk und zur Insel Bolschewik
Die 16 Forscher der gefährdeten russischen Polarstation SP-40 können aufatmen. Der Atomeisbrecher Jamal hat mit ihrer Evakuierung und der Bergung der wissenschaftlichen Einrichtung begonnen. Die SP-40 hatte ihren Weg auf einer treibenden Eisscholle vor der russischen Küste im September 2012 begonnen und sollte ihre Arbeit im Frühherbst abschließen. Im Mai geriet sie aber auf die kanadische Seite des Nordpolarmeeres, und das Eis fing an, zu tauen. Als das Eisfeld, auf dem sich die Station befand, in sechs Teile zerbrach, beschloss Moskau die vorgezogene Evakuierung. Die Jamal hatte den Hafen von Murmansk am 1. Juni verlassen und erreichte die 1600 Kilometer von Kanada entfernt treibende SP-40 schon am 8. Juni. Bei minus 1 Grad Celsius geht die Arbeit zügig voran.
Eile ist geboten, denn die einzelnen Teile der Station sind über die sechs Eisschollen verstreut. In der Nacht zum Dienstag begann ein Wall aus abbrechenden Eisstücken, sich auf das Lager mit Ölfässern zu bewegen. Es dauert noch einige Tage, bis die Evakuierung komplett beendet ist. Erst in einem Monat wird die Expedition Murmansk erreichen, weil sie noch einen Abstecher zu der Insel Bolschewik machen muss. Dort soll eine zurzeit konservierte Polarstation wieder belebt werden. Sieben Forscher, von denen drei dem SP-40-Team angehörten, werden dort zurückbleiben.
Die Arbeit russischer Polarstationen auf treibenden Eisschollen endet nicht selten mit Rettungsaktionen. Zuletzt war das 2010 der Fall. Die heutigen Polarforscher müssen zwar unter Extrembedingungen arbeiten, ihnen stehen aber anders als ihren Vorgängern Satellitenaufnahmen und moderne Technik zur Verfügung. Da das Nordpolarmeer als »Wetterküche« galt, schickte die Sowjetunion immer neue Forschungsstationen auf treibenden Eisschollen auf Reisen. In der Bezeichnung SP-40 stehen die Buchstaben für Sewernyj Poljus (Nordpol). Die Zahl 40 ist die fortlaufende Nummer.
Den Grundstein der sowjetischen Polarforschung hatte der aus einer russlanddeutschen Familie stammende Mathematiker, Geophysiker und Astronom Otto Schmidt gelegt. Er hatte bereits das Pamir-Gebirge erforscht und die höchsten Berge des westlichen Pamirs bestiegen. Daneben besaß er einen unschätzbaren Vorteil für eine Sowjetkarriere. Er gehörte seit 1918 der Kommunistischen Partei an. Im Hohen Norden blieb er seinem Prinzip treu. Er stach persönlich in See und landete mit kleinen Flugzeugen auf Eisfeldern. Neben strategischen Ideen, die die russische Polarforschung bestimmen sollten, hatte er mitunter auch solche, über die man heute nur den Kopf schüttelt. So behauptete er allen Ernstes, Expeditionen brauchten kein Fleisch mitzunehmen und könnten sich von erlegten Eisbären ernähren. Die größten Raubtiere der Arktis waren damals so zahlreich, dass niemand glaubte, sie würden einmal als aussterbende Art unter Naturschutz gestellt werden.
1937 schickte Otto Schmidt die Polarstation SP-1 auf einer treibenden Eisscholle auf den Weg. Der endete ein knappes Jahr später dicht vor Grönland. Die vier Expeditionsteilnehmer wurden dann von den Eisbrechern Taimyr und Murman geborgen.
Alles war für sie neu. Vor Antritt der 2000 Kilometer langen Reise wurde ein Spezialzelt für niedrige Temperaturen im Moskauer Betrieb »Kautschuk« angefertigt. Das Forschungsinstitut der Ernährung bereitete für sie ein Mittagessen, das 1,5 Jahre reichen sollte und fünf Tonnen wog. Die Funkanlage, damals die einzige Brücke zur Außenwelt, wog »nur« eine halbe Tonne. Der Funker Ernst Krenkel, wie Schmidt auch ein Russlanddeutscher, überwachte deren Anfertigung im Herstellerwerk. Zwei Akku-Sätze wurden von einem Stromerzeuger mit Wind- bzw. Benzinantrieb aufgeladen.
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