Vielfalt als Erfolgsrezept
Kalkalgen profitieren bei globaler Ausbreitung von variablem Erbgut
Kalkalgen gehören zu den faszinierendsten Organismen der Weltmeere. Sie formten aus ihren schildähnlichen Panzern vor vielen Millionen Jahren die Kreidefelsen von Rügen und Dover. Deren Nachfahren bevölkern auch heute noch die meisten Meere. Wie sie es schaffen, unter den wechselnden Bedingungen zu leben, dafür liefert ein internationales Forscherteam - darunter Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven (AWI), der Unis Bochum und Köln - jetzt eine Erklärung. Die Forscher um Betsy Read von der California State University in San Carlos hatten das Genom der Kalkalge Emiliania huxleyi, kurz Ehux genannt, entziffert. Dabei erwies sich die Gesamtheit der Erbinformationen im Vergleich zu anderen Einzellern als ungewöhnlich groß. Zudem stimmen nur 70 bis 80 Prozent der Erbinformationen der ballförmigen Mikroalgen zwischen verschiedenen Stämmen überein, der Rest ist variabel. Beim Menschen variiert von Individuum zu Individuum nur ein Prozent des Genoms. Solche sogenannten Pan-Genome waren bislang nur bei Bakterien bekannt. Die Wissenschaftler stellen ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des britischen Fachjournals »Nature« (doi: 10.1038/nature12221) vor.
Die Kalkalgen sind jedoch weniger wegen ihrer Vielfalt in den Fokus der Wissenschaft geraten: Wie alle Algen binden sie durch Fotosynthese Kohlendioxid, das sie, wenn sie absterben, an das umliegende Wasser abgeben. Doch der Teil des Kohlenstoffs, der in ihrem Kalkpanzer steckt, sinkt nach dem Absterben der Algen zum Meeresgrund. Dieser Kohlenstoff ist damit über Jahrtausende dem globalen Kreislauf entzogen, da Kalk nur schwer wasserlöslich ist. Somit wirken die gepanzerten Algen dem Klimawandel entgegen. Deshalb sind sie auch für den globalen Kohlenstoffzyklus und das Erdklima von zentraler Bedeutung. »Im Meer wird genauso viel Fotosynthese betrieben wie an Land, obwohl die Biomasse der Algen nur einen Bruchteil der der Landpflanzen ausmacht«, so der Algenforscher am AWI und Mitautor der Studie, Klaus Valentin.
Vor allem im Frühling und Sommer bilden Kalkalgen gigantische Teppiche an der Meeresoberfläche und in den ersten hundert Metern darunter. Sie stellen in dieser Zeit den Hauptteil des Meeresplanktons und werden damit zu den wichtigsten Primärproduzenten im Ozean.
Den Wissenschaftlern aus sieben Ländern gelang es nun nicht nur, das Erbgut verschiedener Algenstämme zu sequenzieren, sondern auch, einzelne Gengruppen zu identifizieren, so etwa jene, die es der Kalkalge erlauben, im Wasser auch mit einem geringen Phosphor-, Eisen- und Stickstoffgehalt zurechtzukommen, oder eine andere, die ihr das Überleben bei starker Sonneneinstrahlung ermöglicht. Mittels der Decodierung der Erbinformationen der Kalkalgen wollen die Forscher Anhaltspunkte dafür finden, wie diese auf Veränderungen im Zuge des Klimawandels reagieren. »Dazu führen wir zum Beispiel Genexpressionsstudien durch, die zeigen, wie die zunehmende Versauerung des Ozeans die Stoffwechselprozesse im Innern der Alge beeinflusst«, erklärt der AWI-Biologe Uwe John. Bislang sieht es so aus, als ob nur wenige Schwierigkeiten hätten, Kalk zu bilden. »Viele Stämme haben momentan überhaupt keine Probleme«, so Valentin. Gerade ihre große genetische Vielfalt könnte ihnen helfen, mit steigenden Wassertemperaturen und dem wachsenden CO2-Gehalt des Wassers fertig zu werden.
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