Suche nach einem neuen Satan?
Die Wahl des »gemäßigten« Ruhani zum Präsidenten Irans sorgt in Israel für Irritationen
Es wird schwieriger werden, die westlichen Verbündeten von der Notwendigkeit eines militärischen Präventivschlags gegen die iranischen Atomambitionen zu überzeugen, sind sich die Experten in Israel einig. Manche sprechen sogar von einem »vergifteten Geschenk«, das Ayatollah Ali Chamenei in Person von Hassan Ruhani dem Westen beschert habe. Chamenei ist der religiöse Führer und starke Mann Irans.
»Was machen wir bloß ohne den Buhmann, den Fanatiker Ahmadinedschad? Was wird aus uns ohne den persischen Hitler?«, ironisiert der Leitartikel in der meistverbreiteten israelischen Tageszeitung »Jediot Ahronot«. Und schlägt als Antwort vor: »Entweder wir müssen zur Wirklichkeit zurückkehren oder wir müssen ganz schnell einen neuen Satan finden.« Seit der überraschende Sieg Ruhanis, der als gemäßigter Geistlicher gilt, bei den iranischen Präsidentschaftswahlen bekannt wurde, häufen sich die Warnungen des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu und der Falken in seinem Kabinett: Die Wahl ändere nichts, der Druck auf Teheran müsse aufrecht erhalten und verstärkt werden, auch die militärische Option sei nicht vom Tisch. Israel, das bisher trotz fehlender offizieller Bestätigung als einzige Atommacht im Nahen Osten gilt, verdächtigt Iran gemeinsam mit anderen Staaten, unter dem Deckmantel eines zivilen Nuklearprogramms an der Atomwaffenentwicklung zu arbeiten.
Netanjahu hatte seit dem Herbst immer wieder gewarnt, Iran nähere sich binnen Monaten der »roten Linie«, die einen Präventivschlag gegen die Urananreicherung nötig mache. Er werde nun erst einmal leiser auftreten und sich in Geduld üben müssen, analysieren israelische Experten.
»Mit Ruhani als neuem Gesicht Irans, der auf die Aufhebung der internationalen Sanktionen hinarbeitet und sich nicht zur demagogischen Holocaustleugnung seines Vorgängers hinreißen lässt, wird es für Netanjahu schwieriger werden, die Welt von der Notwendigkeit zu überzeugen, die iranischen Nuklearanlagen anzugreifen«, schreibt Amos Harel, verteidigungspolitischer Experte der linksliberalen »Haaretz«. Obwohl es zutreffend sei, dass Ahmadinedschad in der iranischen Atompolitik keine führende Rolle hatte, »machten seine etwas skurrile Persönlichkeit und seine irrsinnigen Erklärungen es für Israel doch leichter, die Gefahren aufzuzeigen, die einem mit Massenvernichtungswaffen ausgerüsteten extremem Ayatollah-Regime innewohnen würden«, so.
Die israelischen Experten heben auch hervor, dass der künftige iranische Staatschef gut im Stoff stehe, weil er früher Irans Delegation bei den Atomverhandlungen geleitet habe. Ephraim Kam vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv: »Das gemäßigte Image des neuen iranischen Präsidenten wird nicht nur den internationalen Druck auf Iran mindern, sondern vielleicht sogar eine Übereinkunft in der Nuklearfrage begünstigen, die für Israel nicht hinnehmbar sein wird.« Freddy Eitan vom Jerusalemer Zentrum für Öffentliche und Staatsangelegenheiten pflichtet bei: »Mit diesem vergifteten Geschenk, das Ayatollah Chamenei dem Westen beschert hat, wird unsere Arbeit komplizierter. Und wir werden praktisch alleine dastehen in unserem Überlebenskampf.«
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