Polizei regelt Quarantäne in Flüchtlingsheim

Wegen Windpockenfällen bat das Gesundheitsamt um Amtshilfe / Anwohner wollen Spielplatz nur für einheimische Kinder

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Freitagabend bewacht die Polizei das Asylbewerberheim »Marie Schlei« im Reinickendorfer Ortsteil Wittenau, in dem knapp 200 Menschen wohnen. Der Grund: Acht Kinder sind an Windpocken erkrankt. Im Auftrag des Gesundheitsamtes soll die Polizei kontrollieren, dass niemand das Haus betritt oder verlässt, der erkrankt war oder als Überträger von Windpocken infrage kommt.

Das Gesundheitsamt hat das Haus unter Quarantäne gestellt. Es hatte allen Bewohnern einen freiwilligen Test angeboten, ob sie gegen den Erreger immun seien, sagt der amtierende Gesundheitsstadtrat Andreas Höhne (SPD). »114 Bewohner haben sich untersuchen lassen. 100 von ihnen sind immun gegen Windpocken und durften das Haus verlassen.«

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte in einem Eilverfahren die Windpocken-Quarantäne als nicht rechtmäßig abgelehnt. Diese Absonderungsmaßnahme, die vom Bezirk getroffen worden war, könne nicht auf das Infektionsschutzgesetz gestützt werden, heißt es in der am Dienstag verbreiteten Entscheidung vom Montag.

Dass Asylbewerber trotz der Windpockenfälle im Haus einfach so draußen herumliefen, erregt den Unmut der Wittenauer Nachbarn, die von Anfang an der Meinung waren, ein Asylheim gehöre nicht in ihre beschauliche Wohnumgebung. »Windpocken im Marie-Schlei-Haus«, war ein anonymes Flugblatt überschrieben, das in Reinickendorf großflächig an Laternenpfähle und S-Bahnhöfe geklebt war. »Gesundheitsamt hat Haus unter Quarantäne gestellt, aber niemand kontrolliert das. Erwachsene und Kinder gehen in der Umgebung herum und können munter andere Leute anstecken … Was kommt demnächst? Masern? TBC? Cholera?« Das Flugblatt endet mit dem Hinweis, Erkrankte sollen Anzeige wegen Körperverletzung und Verletzung der Aufsichtspflicht stellen. Würde das jede Mutter tun, deren Kind sich in der Kita an Windpocken ansteckt, hätte die Polizei viel zu tun.

»Wir haben Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt«, sagt Snezana Hummel von der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Heim betreibt. »So plumper Rassismus ist mir in meiner langjährigen Tätigkeit noch nicht begegnet.« Windpocken würde es in Asylheimen immer wieder geben. »Normalerweise wird lediglich darauf geachtet, dass niemand dort ein- und auszieht und Schwangere werden geschützt.« Ihr Kollege Manfred Nowak ergänzt: »Unsere Bewohner und Mitarbeiter gehen besonnen mit der Situation um. Das Gesundheitsamt und die Nachbarn reagieren über.« Die AWO war nach Nowaks Angaben vom Gesundheitsamt aufgefordert worden, einen Wachschutz zu stellen, der niemand aus dem Haus ein- und auslassen sollte. Nowak: »Das haben wir abgelehnt, weil es Freiheitsberaubung wäre. Das Verwaltungsgericht hat unsere Auffassung bestätigt und erklärt, wir sind nicht für die Kontrolle der Quarantäne zuständig.« Daraufhin habe das Gesundheitsamt die Polizei gerufen. Stadtrat Höhne weist den Vorwurf zurück, überzogen zu reagieren.

Die Wittenauer Nachbarn hatten sich heftig gegen die Eröffnung des Asylheimes gewehrt. Als sie auf einer Bürgerversammlung erfuhren, dass das Heim kommt, haben einige Männer vereinbart, »besondere Vorkommnisse« zu protokollieren, um irgendwann vor einem Gericht gegen das Heim in ihrer Nachbarschaft klagen zu können. Nowak zufolge seien die Windpocken »die erste handfeste Beschwerde«. Bisher wurde an die AWO etwa als »besonderes Vorkommnis« gemeldet, wenn Autos mit ausländischem Kennzeichen vor dem Asylheim parkten oder wenn ein Nachbar von einem Nichtdeutschen auf der Straße nach dem Weg nach Neukölln gefragt wurde. Nowak: »Ich habe gefragt, was daran das Problem sei. Die Antwort war, die AWO sei schließlich für die Bewohner zuständig und nicht die Nachbarn.«

Ein weiteres Ärgernis für die Nachbarn: Kinder aus dem Asylheim spielen auf »ihrem« Spielplatz. Die AWO bekam exakte Protokolle zugeschickt, wann wie viele nichtdeutsche Kinder dort spielten. Auch im Internet-Kiezblog gibt es ein solches Protokoll: »Gegen 18 Uhr befanden sich ca. zwölf Kinder auf dem Spielplatz der WEG. Gegen 19 Uhr kam noch mal eine Frau mit ihrem ca. 3 Jährigen und hat dort vielleicht eine viertel Stunde gespielt.« Der Spielplatz, auf dem nach dem Willen einiger Anwohner nur deutsche Kinder spielen sollen, gehört der Eigentümergesellschaft der umliegenden Eigentumswohnungen. Da er nicht eingezäunt ist, kann man anderen Kindern das Spielen allerdings nicht untersagen.

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