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Polizisten, Mörder und Faschisten
Fachhochschule erhielt Fotos des Wachtmeisters Helmuth Brandt von 1940 bis 1942
»Damit sie gute Polizisten werden, müssen sie diese Dinge verstehen«, betont Jochen Christe-Zyse. Der Vizepräsident der Fachhochschule der Polizei ist am Dienstag ärgerlich, weil einige im Hörsaal schwatzten und lachten. »Was ich hier gerade erzähle, ist alles andere als lustig.«
An der weitläufigen Fachhochschule direkt neben der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bildet das Land Brandenburg gewöhnliche Streifenbeamte aus, aber auch Polizisten für den gehobenen Dienst, die ein Fachschulstudium absolvieren müssen.
Niemand glaube, dass die jungen Männer und Frauen hier irgendwann einmal nach Osteuropa geschickt werden, um dort Juden zu erschießen, versichert der Vizepräsident. »Dass Hitler schlimm war, müssen wir Ihnen auch nicht noch einmal erklären. Das wissen Sie!« Trotzdem lernen angehende Polizisten in Brandenburg etwas über das 1940 im Schloss Oranienburg aufgestellte Polizeibataillon 310, das in Polen und in der Sowjetunion Kriegsverbrechen verübte. Warum?
Vizepräsident Christe-Zyse hat eine schlüssige Erklärung: Damit die Polizisten später die Balance wahren zwischen dem, was sie wollen, müssen und dürfen, wenn sich ihr Empfinden von menschlichem Anstand dagegen wehrt. Der Vizepräsident erinnert die künftigen Beamten an Fernsehbilder von den Unruhen in Istanbul und empfiehlt ihnen, an die türkischen Polizisten zu denken und sich zu fragen, ob diese wirklich einfach brutaler sind. »Wenn Sie in einer geschlossenen Einheit sind und Befehle bekommen, dann passiert etwas mit Ihnen«, prophezeit Christe-Zyse seinen Zöglingen. Darauf sollen sie sich einstellen. Dann kommt er wieder auf die Nazizeit zu sprechen und auf die jungen Männer in den Polizeibataillonen. »Ich kann doch meine Kameraden nicht im Stich lassen«, hätten damals einige gedacht. Das sei eigentlich ein positives Gefühl, das jedoch zu etwas Schrecklichem geführt habe.
Nicht alltäglich läuft der Unterricht am Dienstagmittag im Hörsaal 1 für zwei Klassen mit Auszubildenden und eine Klasse mit Studenten. Herbert Brandt ist gekommen, um ein Fotoalbum zur Verfügung zu stellen, das er nach dem Tod seiner Tante in einer Schublade ihres Schreibtisches fand. Darin versammelt sind Aufnahmen seines Vaters und seiner Kameraden vom Bataillon 310.
Bevor Brandt das Wort ergreift, fasst Dozent Wieland Niekisch noch einmal stichpunktartig die Geschichte des Bataillons zusammen. Dazu zitiert er auch aus dem Kriegstagebuch der Einheit. Unter dem 30. Mai 1941 ist vermerkt: 35 Mann abgestellt zur Erschießung von 78 Menschen. Das soll eine Vergeltung dafür sein, dass Partisanen einen SS-Untersturmführer töteten. Niekisch ist von Haus aus Historiker und war früher CDU-Landtagsabgeordneter. Nun leitet er an der Fachhochschule das Zeithistorische Zentrum. Er nennt noch andere Daten aus dem Kriegstagebuch. Immer geht es um die Ermordung von Geiseln. Dörfer werden umstellt und niedergebrannt; Männer, Frauen und Kinder erschossen.
»Auch wenn mein Vater an diesen Taten beteiligt war, es ist eine Schande für Deutschland, dass diese Verbrechen begangen worden sind«, sagt Herbert Brandt und kämpft mit den Tränen. Herbert Brandt kam 1942 in Kyritz zur Welt. Sein Vater Helmuth, ein gelernter Glaser, diente da bereits im Bataillon 310. Man hatte ihn 1940 zum Wehrdienst bei der Polizei eingezogen, wo er lediglich Wachtmeister wurde, also ein kleines Licht blieb. Den Sohn muss er bei einem Fronturlaub gezeugt haben. Ob ihn die Nachricht von der Geburt seines Kindes überhaupt noch erreicht hat, weiß Herbert Brandt nicht. Am 14. Januar 1943, während der Donoffensive, habe ein Haus hinter den deutschen Linien einen Volltreffer bekommen, erzählt Herbert Brandt. Sein Vater Helmuth war in dem Haus und starb.
Einzelheiten über seinen Vater musste Herbert Brandt mühselig recherchieren. Seine Mutter sprach nicht darüber. Sie hatte nach dem Krieg wieder geheiratet - einen Lehrer. Wegen des Stiefvaters seien der leibliche Vater und seine Kriegserlebnisse in der Familie tabu gewesen, erinnert sich Herbert Brandt.
Ab 1936 stand die deutsche Polizei auch offiziell unter dem Kommando des Reichsführers-SS Heinrich Himmler. Polizei und SS waren eng verwoben, und es war Usus, dass Polizeikommandeure der SS angehörten und die SS-Rune an der Uniformjacke trugen. Selbst einfache Polizisten traten oft in die SS ein. Bereits zu Beginn des Zweiten Weltkriegs fielen Polizeibataillone zu je 500 Mann - der Wehrmacht hinterher - in Polen ein. In quasi allen besetzten Ländern sollten sie für Ordnung sorgen. Dazu gehörte es, Juden in Ghettos zu treiben, sie in die Deportationszüge zu verfrachten und auf der Fahrt in die Vernichtungslager zu bewachen. In den berüchtigten Einsatzgruppen im Osten beteiligten sich Polizisten an der Erschießung und an der Erstickung von Juden in Gaswagen. Zahlenmäßig waren Polizisten in den Einsatzgruppen sogar viel stärker vertreten als SS-Leute, was allgemein wenig bekannt ist.
Wenn es der Polizei nicht vor vor der Kapitulation noch gelungen wäre, die meisten Akten darüber zu vernichten, dann hätte das beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess eine Rolle gespielt, ist Historiker Niekisch überzeugt.
Herbert Brandt hat bis zur Wende in der DDR als Elektromeister gearbeitet und sich dann zum Vizebürgermeister von Kyritz wählen lassen. Mittlerweile ging er in Rente. Doch einst leistete er seinen Wehrdienst bei der Bereitschaftspolizei in Potsdam-Eiche. Aus diese Zeit bewahrte er ein Koppelschloss auf. Es trägt noch nicht das DDR-Emblem und wurde vor Ende seiner Dienstzeit 1964 durch eins mit Emblem ersetzt. Neben dem Fotoalbum schenkt Brandt auch dieses Koppel der Fachhochschule. Er habe keinen Nachfolger, der sich für diese Dinge interessiere, erklärt er.
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