Hätte, könnte, wäre
MEDIENgedanken: Wer braucht schon Wissenschaft im Fernsehen? Pro 7 hat dafür »Galileo«
Galileo Galilei war Wissenschaftler. Der Italiener beschäftigte sich mit Physik, Mathematik, Astronomie und stellte dabei unter anderem fest, dass die Venus um die Sonne kreist und nicht etwa um unsere Erde. Derartige Erkenntnisse brachten dem gläubigen Galilei einigen Ärger mit der Inquisition ein. Erst dreieinhalb Jahrhunderte später sah die katholischen Kirche ihren Fehler ein und rehabilitierte Galilei. Wovor aber selbst der Papst Galileo nicht bewahren konnte, ist die Verunglimpfung seines Vornamens durch eine seit 1998 auf dem Privatsender Pro 7 ausgestrahlte und seit einigen Jahren tägliche laufende Sendung.
Unbestritten: Bei »Galileo« handelt es sich nach offizieller Lesart des Senders um keine Wissenschafts-, sondern um eine Wissenssendung. Bekanntlich ist Wissen eine relative Angelegenheit und in der Alltagsarbeit geben sich die Münchner Fernsehmacher auch wenig Mühe, auf den Unterschied zwischen Wissen und Wissenschaft hinzuweisen. Wissen liegt auch beispielsweise dann vor, wenn jemand weiß, wie viel Lebensmittel ein Mensch in sich hineinstopfen kann, ohne sich zu übergeben. Das Testen von Geschmacks- und Ekelgrenzen gehört in diese Kategorie von Wissen. Peinlich, albern, fragwürdig - eben genau richtig für das Privatfernsehen. Das Format fährt mit solchen Themen besonders unter den jüngeren Zuschauern konstant starke Quoten ein. Womöglich glaubt ein Teil der Zielgruppe tatsächlich, etwas beim Galielo-Wissensquiz zu lernen.
Ein Experiment dürfte von den »Galileo-Reportern« erst als erfolgreich gelten, wenn in der Versuchsanordnung ein Feuerlöscher explodiert oder Autos vorzeitig ihrer letzten Bestimmung zugeführt werden. Hauptsache es knallt, sprüht Funken oder raucht zumindest ordentlich die Kamera voll, damit diese genug extreme Momente festhalten kann. Unterhalb der Kategorisierung »extrem«, »spektakulär« und »gefährlich« läuft nichts. Der Begriff Versuchsanordnung dürfte dagegen bisher in keinem der Beiträge gefallen sein. Schließlich wäre das fast schon wieder zu wissenschaftlich für ein Publikum, dem man jegliche Bezüge zur Realität ansonsten nur in zehn Minuten Nachrichtenprogramm am Vorabend zumutet, wobei selbst hier nur die Wiedergabe einer verzerrten Wirklichkeit stattfindet.
Das passt ins Konzept des Senders, der vermeintliche Wissensvermittlung über eine Zuspitzung eben jener Realität betreibt. Die Wirklichkeit wäre nach Meinung der Fernsehmacher für den Zuschauer zu ermüdend, würde man sie ungeschminkt abbilden. Deshalb muss der Off-Sprecher wiederholt hervorheben, dass der Biss der ins Bild gesetzten Kobra für einen Menschen oder gleich besser noch für eine ganze Ansammlung von homo sapiens in jedem Fall tödlich enden würde. Und weil diese Information nicht reicht, darf ein Galileo-Reporter mit der tödlichen Gefahr auf Tuchfühlung gehen, ohne natürlich nicht zu vergessen, noch einmal zu betonen, wie gefährlich das Tier werden könnte, würde man diesem nicht unter kontrollierten Umständen begegnen.
Hätte, könnte, wäre - der Konjunktiv gehört zum Standardrepertoire im Galileo-Satzbaukasten. Oder wann ist dem Durchschnittszuschauer zuletzt eine tödliche Kobra im Garten begegnet und der Feuerlöscher um die Ohren geflogen? Wissensvermittlung funktioniert bei »Galileo« nach den Prinzipien aus Hollywood, nur dass die Münchner leider kein Millionenbudget für aufwendige Animationen ausgeben. Besonders anschaulich zeigte sich dies an einem zwischen 2006 und 2009 gesendeten »Galileo«-Ableger mit dem Zusatz »Mystery«, der wohl den Untertitel »Und was hat das alles mit den Illuminaten zu tun?« verdient hätte. Das Format widmete sich wahlweise Themen aus dem verschwörungstheoretischen Spektrum oder einem apokalyptischen Weltuntergangsszenario, wobei der Wiederholung der Ausgangsfragestellung stets mehr Raum eingeräumt wurde, als den vermeintlich durch das »Galileo«-Forscherteam neu entdeckten Antworten. Ausnahmsweise bestätigt sich hier die Weisheit, wonach es auf dumme Fragen nur dumme Antworten gibt.
Längst hat diese Art der Wissens- und Wissenschaftsvermittlung auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten erreicht. Maßstab sind hier wahlweise schlechte Adaptionen aus den Untiefen deutschen Privatfernsehens oder opulente Hochglanzproduktionen der britischen BBC. Auch im Öffentlich-Rechtlichen dominiert mittlerweile der Glaube an das Extrem, weshalb selbst alltäglichste Dinge zum Phänomen hochstilisiert werden. »Dem Phänomen auf der Spur« dürfte wohl zu den am häufigsten gefallenen Versprechungen in Wissenssendungen gehören. Aus dem Phänomen wird dabei in aller Regel schnell ein phänomenal, womit sich der Kreis hin zur Überhöhung des Außergewöhnlichen wieder schließt.
Längst ist die Abgrenzung zwischen Wissens- und Wissenschaftssendungen kaum noch möglich, beide Formate sind inzwischen fast untrennbar verschmolzen. Die Macht der Bilder statt der Fakten trat ihren Siegeszug im Bildungsfernsehen spätestens zu jenem Zeitpunkt an, als Guido Knopp das Histotainment nach Deutschland holte. Edutainment, also das Verschmelzen von Unterhaltung und Bildungsinhalten, war daher nur eine logische Konsequenz der Entwicklung. Wissensvermittlung tritt immer weiter in den Hintergrund, was uns in der Zuspitzung auch Formate wie »Das unglaubliche Quiz der Tiere« bescherte. Ähnlich wie bei »Galileo« darf auch hier die Giftkobra nicht fehlen.
Letzte Nischen klassischer Wissenschaftsformate gibt es noch. Dazu gehören das bis 2007 produzierte und heute noch in Wiederholungen gesendete Format »alpha-Centauri« mit dem in München lehrenden Physikprofessor Harald Lesch und das in 3 sat ausgestrahlte Magazin »scobel«. Letzteres Format erhielt ihren Namen durch den Philosophen Gert Scobel, der durch die Sendung führt. Anderen Denkern der Geschichte wird dagegen eine andere Ehre zuteil. »Galileo« hält für das deutsche Trash-TV seinen Kopf hin.
Der Autor ist Volontär des »nd«.
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