Schlechtes Essen, Schläge, Vergewaltigung
Die Stadt Göttingen bekennt sich zu ihrer Schuld und stellt Forschungen über Zwangsarbeit ins Netz
Das »Russenbrot« bestand aus Rübenschnitzeln, Roggenschrot und Strohmehl. Manchmal war auch Laub beigemischt. Zu essen bekamen es nicht nur Russen, sondern auch Zwangsarbeiter anderer Nationalitäten, die in den Kriegsjahren in Göttingen beschäftigt wurden. Nach Erkenntnissen der Historikerin Cordula Tollmien handelte es sich um rund 10 000 Frauen und Männer. Weitere 15 000 sollen im Gebiet des heutigen Landkreises Göttingen zur Arbeit gepresst worden sein.
Im Auftrag des Göttinger Stadtarchivs hat die Wissenschaftlerin u.a. erforscht, wo diese Zwangsarbeiter schufteten und wie ihre Lebensverhältnisse waren. Tollmien wälzte hunderte Akten und befragte Zeitzeugen. Die vorläufigen Ergebnisse ihrer im Jahr 2000 begonnenen Recherchen sind jetzt im Internet einzusehen. Die neue Internetseite www.zwangsarbeit-in-goettingen.de wurde am 30. November frei geschaltet und soll nun schrittweise ausgebaut werden, berichtet der Sprecher der Stadtverwaltung, Detlef Johannson.
»Bundesweit einmalig«, beurteilen Fachleute die Untersuchung und die Präsentation. Immerhin bekenne sich die Stadt damit unübersehbar zu ihrer Schuld. Allein 500 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen waren direkt bei der Kommune beschäftigt. Tollmien zufolge haben nahezu alle Göttinger Ämter, Dienststellen und öffentlichen Betriebe davon profitiert. Zivile Arbeitskräfte und Kriegsgefangene waren unter anderem bei der Müllabfuhr, beim Gaswerk, im Stadtforstamt, als Putzkräfte in Schulen und im Theater eingesetzt.
Die Stadtverwaltung hatte sich bereits mit Kriegsbeginn um die Zuweisung von »Ostarbeitern«, später auch von sowjetischen Kriegsgefangenen bemüht. Weitere wurden nur für bestimmte Aufträge von der Wehrmacht oder von Privatfirmen »ausgeliehen«.
Die Göttinger Bevölkerung akzeptierte die Beschäftigung und die schlechte Behandlung von Zwangsarbeitern, stellt Tollmien klar. Neben den Arbeitsbedingungen und mangelhafter Ernährung litten viele Betroffenen auch unter Beleidigungen, Schlägen und Misshandlungen. Frauen, so Tollmien, wurden zudem Opfer sexueller Gewalt. Eine Gruppe junger Russinnen war in ihrem Lager »immer wieder Vergewaltigungen durch das Wachpersonal ausgesetzt, das ausschließlich aus älteren Männern bestand«.
Die Stadt Göttingen war aber nicht nur als Arbeitgeberin in das System der Zwangsarbeit verstrickt. Von der Wirtschaft genutzte Zwangsarbeiterlager wurden auf städtischen Grundstücken errichtet. Auch für die Versorgung, Erfassung und Kontrolle der rund 10 000 privat beschäftigten Zwangsarbeiter war die Stadt verantwortlich.
Die Wissenschaftlerin nahm auch Kontakt zu noch lebenden, ehemaligen Zwangsarbeitern auf, von denen im Jahr 2003 zwei nach Göttingen eingeladen wurden. Die damals 78 und 82 Jahre alten Frauen aus der Ukraine berichteten bei ihrem Besuch unter anderem in Schulen und in einem »Erzählcafé« über ihre Erlebnisse. In Göttingen hatten sie damals für die Deutsche Reichsbahn und die Firma Sartorius schuften müssen. Im Beisein der Frauen wurde auf Beschluss des Stadtrates ein Gedenkstein eingeweiht. Angeregt durch Tollmiens Recherchen, sammelte eine Göttinger Bürgerinitiative ca. 78 000 Euro und verteilte sie in der Ukraine an ehemalige Zwangsarbeiter. Rund 100 Frauen und Männer hätten so jeweils mehrere hundert Euro erhalten, erzählt der Sprecher der Initiative, Helmhard Ungerer. Die Begünstigten hatten kein Geld von der Bundesstiftung zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter erhalten.
Die Bereitschaft, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, ist indes nicht überall in Göttingen verbreitet. In der Göttinger Universitätsklinik stießen Historiker auf Widerstand. So habe der Vorstand des Krankenhauses zunächst ein Magazin mit neurologischen und psychiatrischen Patientenakten gesperrt. Erst nach Anfragen britischer Journalisten sei das Archiv geöffnet worden.
In der Göttinger Uni-Klinik wurden rund 125 Frauen und Männer zu Zwangsarbeiten gepresst. Sie waren überwiegend in der Krankenpflege, in der Wäscherei, als Küchenhilfe und als Reinigungskräfte eingesetzt. Etwa 50 junge Polinnen und Russinnen sollen in Göttingen als so genannte »Hausschwangere« benutzt worden sein, an denen die Medizinstudenten vaginale Untersuchungen übten. Ihre Kinder brachten die Zwangsarbeiterinnen in einer eigenen Sanitätsbaracke zur Welt, zum Teil waren es Totgeburten.
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Im Auftrag des Göttinger Stadtarchivs hat die Wissenschaftlerin u.a. erforscht, wo diese Zwangsarbeiter schufteten und wie ihre Lebensverhältnisse waren. Tollmien wälzte hunderte Akten und befragte Zeitzeugen. Die vorläufigen Ergebnisse ihrer im Jahr 2000 begonnenen Recherchen sind jetzt im Internet einzusehen. Die neue Internetseite www.zwangsarbeit-in-goettingen.de wurde am 30. November frei geschaltet und soll nun schrittweise ausgebaut werden, berichtet der Sprecher der Stadtverwaltung, Detlef Johannson.
»Bundesweit einmalig«, beurteilen Fachleute die Untersuchung und die Präsentation. Immerhin bekenne sich die Stadt damit unübersehbar zu ihrer Schuld. Allein 500 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen waren direkt bei der Kommune beschäftigt. Tollmien zufolge haben nahezu alle Göttinger Ämter, Dienststellen und öffentlichen Betriebe davon profitiert. Zivile Arbeitskräfte und Kriegsgefangene waren unter anderem bei der Müllabfuhr, beim Gaswerk, im Stadtforstamt, als Putzkräfte in Schulen und im Theater eingesetzt.
Die Stadtverwaltung hatte sich bereits mit Kriegsbeginn um die Zuweisung von »Ostarbeitern«, später auch von sowjetischen Kriegsgefangenen bemüht. Weitere wurden nur für bestimmte Aufträge von der Wehrmacht oder von Privatfirmen »ausgeliehen«.
Die Göttinger Bevölkerung akzeptierte die Beschäftigung und die schlechte Behandlung von Zwangsarbeitern, stellt Tollmien klar. Neben den Arbeitsbedingungen und mangelhafter Ernährung litten viele Betroffenen auch unter Beleidigungen, Schlägen und Misshandlungen. Frauen, so Tollmien, wurden zudem Opfer sexueller Gewalt. Eine Gruppe junger Russinnen war in ihrem Lager »immer wieder Vergewaltigungen durch das Wachpersonal ausgesetzt, das ausschließlich aus älteren Männern bestand«.
Die Stadt Göttingen war aber nicht nur als Arbeitgeberin in das System der Zwangsarbeit verstrickt. Von der Wirtschaft genutzte Zwangsarbeiterlager wurden auf städtischen Grundstücken errichtet. Auch für die Versorgung, Erfassung und Kontrolle der rund 10 000 privat beschäftigten Zwangsarbeiter war die Stadt verantwortlich.
Die Wissenschaftlerin nahm auch Kontakt zu noch lebenden, ehemaligen Zwangsarbeitern auf, von denen im Jahr 2003 zwei nach Göttingen eingeladen wurden. Die damals 78 und 82 Jahre alten Frauen aus der Ukraine berichteten bei ihrem Besuch unter anderem in Schulen und in einem »Erzählcafé« über ihre Erlebnisse. In Göttingen hatten sie damals für die Deutsche Reichsbahn und die Firma Sartorius schuften müssen. Im Beisein der Frauen wurde auf Beschluss des Stadtrates ein Gedenkstein eingeweiht. Angeregt durch Tollmiens Recherchen, sammelte eine Göttinger Bürgerinitiative ca. 78 000 Euro und verteilte sie in der Ukraine an ehemalige Zwangsarbeiter. Rund 100 Frauen und Männer hätten so jeweils mehrere hundert Euro erhalten, erzählt der Sprecher der Initiative, Helmhard Ungerer. Die Begünstigten hatten kein Geld von der Bundesstiftung zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter erhalten.
Die Bereitschaft, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, ist indes nicht überall in Göttingen verbreitet. In der Göttinger Universitätsklinik stießen Historiker auf Widerstand. So habe der Vorstand des Krankenhauses zunächst ein Magazin mit neurologischen und psychiatrischen Patientenakten gesperrt. Erst nach Anfragen britischer Journalisten sei das Archiv geöffnet worden.
In der Göttinger Uni-Klinik wurden rund 125 Frauen und Männer zu Zwangsarbeiten gepresst. Sie waren überwiegend in der Krankenpflege, in der Wäscherei, als Küchenhilfe und als Reinigungskräfte eingesetzt. Etwa 50 junge Polinnen und Russinnen sollen in Göttingen als so genannte »Hausschwangere« benutzt worden sein, an denen die Medizinstudenten vaginale Untersuchungen übten. Ihre Kinder brachten die Zwangsarbeiterinnen in einer eigenen Sanitätsbaracke zur Welt, zum Teil waren es Totgeburten.
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