Zehntausende in Köln gegen die »Diktatur Erdogans«
Überall ist Taksim: Demonstration durch die Innenstadt wegen unerwartet großen Andrangs abgesagt / SPD-Politikerin Özoguz auf Distanz zum Demo-Motto
Köln (Agenturen/nd). In Köln haben sich am Samstag zehntausende Menschen versammelt, um gegen die Polizeigewalt in der Türkei und die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu demonstrieren. Zu dem Protestmarsch unter der Überschrift »Überall ist Taksim - überall ist Widerstand« hatten die Veranstalter mehr als 30.000 Teilnehmer erwartet; im Internet machten bereits am frühen Nachmittag Meldungen die Runde, wonach deutlich Menschen dem Aufruf gefolgt seien. Die Organisatoren sprachen dann später von rund 100.000 Teilnehmern. Der Protestzug durch die Innenstadt musste aufgrund der großen Anzahl an Demonstranten abgesagt werden, berichteten Medien von vor Ort.
Die Kölner Polizei sprach von einem "erfreulich friedlichen Verlauf" der Kundgebung. Die Demonstranten, die aus ganz Deutschland angereist waren, hielten unter anderem eine Schweigeminute ab "für alle, die ihr Leben für Freiheit und Demokratie geopfert haben". Auf dem Kölner Heumarkt trugen Menschen Transparente mit Aufschriften wie „Demokratie, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit“ und „Erdogan, der Wolf im Schafspelz“. Organisiert wurde die Kundgebung von der Alevitischen Gemeinde Deutschland. Die Aleviten - eine liberale islamische Gemeinschaft - haben in den vergangenen Wochen schon mehrfach das harte Vorgehen der türkischen Polizei gegen Demonstranten in Istanbul angeprangert. Die Glaubensgemeinschaft, der etwa 15 bis 25 Prozent der Türken angehören, entstand im Mittelalter aus einer Mischung islamischer und nicht-islamischer Einflüsse. Aleviten werfen der Erdogan-Regierung vor, sie an den sunnitischen Islam assimilieren zu wollen. In Deutschland leben etwa 20.000 Aleviten.
Die Kundgebung soll nach Angaben der alevitischen Gemeinde ein Zeichen für Menschenrechte, Demokratie und Toleranz in der Türkei setzen. Der islamisch-konservativen Regierung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan werfen die Aleviten in Deutschland eine autoritäre Politik vor. Mit Bussen reisten auch Aleviten aus sieben weiteren europäischen Staaten an, unter anderem aus Österreich, der Schweiz und Frankreich.
Erwartet werden auch mehrere deutsche Politiker, unter ihnen Linken-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi und Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck. Während Gysi und Beck auf der Kundgebung sprechen wollen, rückte die SPD davon ab. SPD-Vize Aydan Özoguz ging am Samstag auf Distanz zum Veranstaltungsmotto „Die Diktatur Erdogans abschaffen“. Rund 50 Prozent der Türken hätten Erdogan und seine Partei AKP gewählt, sagte Özoguz am Samstag im Deutschlandradio Kultur. Am Ende müsse natürlich das türkische Volk entscheiden, ob Erdogan weiter regiere oder nicht.
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