Mehdorn: Aufpreis für Demokratie
Der Flughafenchef über Großprojekte und Bürgerbeteiligung
Namen sind Schall und Rauch, zumindest Vornamen. Wer kennt schon Mehdorn als Hartmut. Zehn Jahre lang hieß er einfach »Bahnchef Mehdorn«, wie IHK-Präsident Eric Schweitzer gestern anerkannte, und jetzt, nach gut 100 Tagen im Amt, ist er auf bestem Wege, sich seinen neuen Vornamen »Flughafenchef« zu erarbeiten. Für die etwa 150 Berliner Unternehmer, die sich gestern in der IHK-Zentrale versammelt hatten, um von ihm zu erfahren, »ob Deutschland noch Großprojekte kann«, ist er natürlich schon ein »richtiger Flughafenchef«.
Und der gab sich gestern ungewohnt leise. Polterte weder gegen Politiker, Bürger oder Architekten, sondern - lobte sie sogar. Ja, Deutschland brauche Großprojekte, aber anders als in China oder Dubai, wo lautlos ein Rekordbau nach dem anderen hochgezogen werde, gebe es hier Proteste, Prüfverfahren und Interessenwechsel. »Weil wir eine starke, vitale Demokratie haben.« Dadurch entstünden Verzögerungen und Kosten, »das ist der Aufpreis, den wir für Demokratie zahlen«. Die Wirtschaft müsse lernen, das einzukalkulieren. Er sei froh, »dass wir ihn zahlen dürfen. Nur so wissen wir am Ende, ob das, was wir bauen, von der Gesellschaft gewollt und auch akzeptiert wird«, outete er sich als Freund der Bürgerbeteiligung.
Was natürlich nicht heißt, dass er die Bürger auch immer erhört. Beim Lärmschutz geht er weiter auf Konfrontation. Er setze sich für einen realistischen Lärmschutz ein. Seit das Gericht die Grenzwerte aber so streng ansetzte, sei dies physikalisch gar nicht realisierbar. Das Ganze laufe auf eine finanzielle Entschädigung ohne Lärmschutz hinaus, befürchtet Mehdorn. Denn übersteigen die Kosten für den Schutz 30 Prozent des Verkehrswertes des Hauses, wird dieser Betrag ausgezahlt. Mehdorn befürchtet, dass Anwohner dann das Geld anders ausgeben. Er suche deshalb nach einem »von allen getragenen Kompromiss«. Wie der aussehen soll, blieb unklar. Konkret lässt die Flughafengesellschaft eine Revision des Urteils vor dem Bundesverwaltungsgericht prüfen.
Beim Lärmschutz habe sich der Flughafen nicht mit Ruhm bekleckert, gestand Mehdorn ein, aber wenn er von Bürgern in 40 Kilometer Entfernung eingefordert werde, sei das ein wenig übertrieben. »Mobilität ist das Rückgrat der Wirtschaft und des Wohlstandes und nicht ohne Lärm zu haben«, sagte er an die Adresse der Aufmüpfigen.
Er verstehe auch Matthias Platzeck, der dem Brandenburger Volksentscheid zu den Nachtflügen Rechnung tragen wolle. »Aber ich will möglichst viel fliegen.« Und das möglichst bald. Am Pier Nord kann er sich einen Probebetrieb noch in diesem Jahr vorstellen, mit ein bis zwei kleinen Fluggesellschaften und bis zu 2000 Passagieren am Tag. Dabei könne man trainieren und lernen, was den Druck erhöhe, mit dem Rest fertig zu werden. »Das ist wie eine Zahnpastatube: Sie müssen sie hinten aufrollen, damit vorne was rauskommt.« Beschlossen sei aber noch nichts.
Fliegen vom Nordpier sei auch noch keine offizielle Inbetriebnahme. Es werde danach noch zwei oder drei Umzugstage geben. Denn mit einem »Big Bang« und 70 000 Passagieren in einen neuen Flughafen zu ziehen, das mache keiner, verteidigte er seinen Plan der schrittweise erfolgenden Eröffnung.
Der neue Flughafen werde auch nicht zu klein sein. Einen Engpass sieht Mehdorn weiterhin nur bei den Startbahnen. Keine Hauptstadt der Welt müsse mit nur zweien auskommen. Über die Regelung, Tegel sechs Monate nach Inbetriebnahme zu schließen, sei er »nicht sehr glücklich«. Deshalb müsse einfach mal besprochen werden, »ob die Parameter, die mal beschlossen wurden, 2020 noch die gleichen sind.« In einem ist sich der Flughafenchef sicher: »Der Flughafen wird ein Schmuckstück. Wir machen den jetzt fertig.« Und dann werde er »den Bürgern ans Herz wachsen«.
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