Denn sie wollen nicht wissen, was wir tun
Zwei Berliner Email-Anbieter setzen auf Datenvermeidung und Datenschutz / Prism-Skandal bringt Zulauf
Alle reden von Internet-Überwachung – posteo.de und so36.net tun etwas dagegen. Die beiden Internet-Dienstleister aus Berlin-Kreuzberg bieten umfassend verschlüsselte E-Mail-Fächer an, für die sie persönliche Daten gar nicht erst erheben und animieren ihre Klientel zur individuellen E-Mail-Verschlüsselung.
Dieses Angebot erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Nach rund vier Jahren muss Posteo nun eine fünfte Person einstellen. »Wir brauchten eigentlich vorher schon jemanden – aber seit Prism erst recht«, erklärt Posteo-Mitgründerin Sabrina Löhr. Der Skandal um die Internetüberwachungspraxis des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA habe zu Posteos Erwähnung in einem Fernsehbeitrag und in der Folge zu Tausenden NeukundInnen geführt.
Um Anonymität und Sicherheit im Internet, beziehungsweise um Kontrollmöglichkeiten, wird seit langem gekämpft. Es ist schwierig zu wissen, welcher Trick noch wie sicher funktioniert. Als für Nicht-Terrorverdächtige ausreichend sicher wird die individuelle E-Mail-Verschlüsselung (etwa mit dem Programm PGP) eingeschätzt. Für das Surfen im Internet wurde lange das Anonymisierungsnetzwerk TOR empfohlen. Doch da können Dienste wie der NSA, bei dem weite Teile des Internets durchlaufen, mittlerweile zumindest einige Rückschlüsse auf Kommunikationen ziehen. Volker Roth, Inhaber einer Professur für Sichere Identität an der Freien Universität Berlin, ist an der Entwicklung eines Systems beteiligt, das selbst bei umfassender Internet-Überwachung Anonymität ermöglicht. Informationen zu dem Forschungsprojekt gibt es unter: www.adleaks.org.
Reizvoll an Posteos E-Mail-Fächern: Eine Anmeldung ist ohne persönliche Daten möglich – sogar die Monatsgebühr von einem Euro kann anonym bezahlt werden. Und Posteo verschlüsselt nicht nur die Daten auf ihren Servern, sondern auch jegliche Verbindung. Wenn jemand im Internet auf seine E-Mails zugreift, speichert Posteo nicht die IP-Adresse des Computers. Die kleine, 2009 gegründete Firma will einfach nichts über die Menschen wissen, die ihre diversen Internetdienstleistungen nutzen. Kürzlich machte sie sogar die Verschlüsselung von Adressbuch und Kalender des E-Mail-Fachs möglich – so kann nicht einmal Posteo selbst die dortigen Daten einsehen.
»Wir kennen keinen Anbieter, der alles das hat«, hält Sabrina Löhr fest. Bisher seien solche E-Mail-Dienste eine Nische gewesen, sagt die 32-Jährige. »Ich kann mir aber vorstellen, dass sich jetzt ein Markt auftut.« Die Anzahl der Posteo-Postfächer liege im hohen vierstelligen Bereich.
Kleiner, aber zehn Jahre älter ist so36.net. Das nach einem ehemaligen Kreuzberger Postbezirk benannte Projekt bietet wie Posteo anonymes E-Mailen und höchsten Datenschutz an, hat aber einen anderen Hintergrund. So36.net wird von einem Verein geführt, der für seine Internet-Dienstleistungen kein Geld verlangt und auch keine Angestellten bezahlt. Zudem ist er vor allem in der Politgruppen-Szene verankert.
Zum Treffen lädt so36.net in eine Kneipe in eben Kreuzberg 36. Hier haben Christoph Kubu und Alex, der seinen Nachnamen nicht nennen will, ein Arbeitstreffen mit einem Mitstreiter. Es geht um Module, Subdomains und ähnliche technische Dinge. Eigene Infrastruktur und somit Kontrolle zu haben, Strukturen zu demokratisieren, war eines der Gründungsziele von so36.net, sagt Kubu, der fast seit Beginn dabei ist. »Wir sind politische Menschen«, fügt er hinzu. »Wenn ein Anruf der Polizei kommt, rücken wir nicht gleich alles raus.« Der 50-jährige freiberufliche IT'ler und politische Aktivist kann Gegenbeispiele nennen: »Ich kenne das aus Ermittlungsakten: Beim E-Mail-Anbieter Gmx braucht nur ein Brief vom BKA zu kommen, und am nächsten Tag schicken die die gewünschten Daten. So ein Brief hat für uns keine Bedeutung. Nur ein richterlicher Beschluss hat Bedeutung.«
Und selbst dann ist so36.net widerspenstig. Das in besagter Kreuzberger Gegend auch durch Dienstleistungen für Gewerbe und politische Gruppen verankerte Team hat eine generelle Politik: Es kämpft um die bei ihnen vorliegenden Daten. Als 2010 die Polizei wegen Daten zu der antimilitaristischen Seite bamm.de auf der Matte stand und so36.net die Server ausschaltete, wodurch alle Daten durch eine kaum zu knackende Verschlüsselung gesichert waren, habe die anwesende Staatsanwältin entschieden, es sei unverhältnismäßig, durch das Mitnehmen des Servers Hunderte anderer Internetauftritte zu schädigen, berichtet Kubu.
Neben der Förderung von politischem Aktivismus sei ein wichtiges Motiv für die Gründung von so36.net der Datenkommerz gewesen, den die großen E-Mail-Anbieter betreiben. Sie erheben persönliche Daten, weil sie damit Geld verdienen, vor allem durch Werbung. Dabei sind E-Mail-Anbieter gar nicht dazu gezwungen, diese sogenannten Bestandsdaten zu erheben, wie Sabrina Löhr von Posteo aufklärt.
Zu den Enthüllungen über den NSA sagt Löhr: »Das Ausmaß hat uns überrascht. Und dass nicht nur Verbindungen, sondern auch Inhalte überwacht werden.« Bei so36.net ist es ein bisschen anders. »Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums hat am Montag im Bundestagsunterausschuss für Neue Medien gesagt: Für jeden, der sich mit der Materie beschäftigt, ist das keine Überraschung,« sagt Alex. Er kennt sich mit dem Thema aus: »Es ist seit jeher Aufgabe des NSA, Signale abzufangen. Früher waren das Richtfunk und Satellitenkommunikation, heute kommt eben das Internet dazu.« 2006 sei bekannt geworden, dass der große IT-Dienstleister AT&T dem NSA in San Francisco einen Raum zur Verfügung gestellt und seine ganze Kommunikation dort durchgeleitet habe.
Gemeinsam ist Posteo und so36.net, dass sie beständig ihrer Klientel vermitteln, dass sie selbst für ihre Datensicherheit sorgen sollen. Denn trotz aller Bemühungen der Anbieter um sichere Verbindungen und Server ist es am wirksamsten, die E-Mails als solche zu verschlüsseln. Dass das ein wirksamer Schutz ist, hat sogar Prism-Enthüller Edward Snowden unlängst betont.
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