Auf die Straße für und gegen Mursi

Ägypten erwartet Kundgebungen zum Amtsjubiläum des Staatschefs

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
In Kairo versammelten sich am Freitag Anhänger und Gegner des ägyptischen Präsidenten Mursi zu neuen Demonstrationen. Die Wortführer der Opposition lehnen einen Dialog mit ihm ab.

»Ich will Präsident aller Ägypter sein!«, hatte Mohammed Mursi den erwartungsvoll versammelten Kairoern einst zugerufen, nachdem die Wahlkommission seinen deutlichen Sieg verkündet hatte. Das war am 30. Juni vor Jahresfrist, nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Gesagt haben das schon viele Staatsoberhäupter, und vielleicht hat Mursi sogar selbst daran geglaubt, dass er es sein kann. Gelungen ist es ihm auf jeden Fall nicht.

Nachdem es bereits am Mittwoch und gestern erneut leidenschaftliche Kundgebungen gegen Mursi in den Megastädten Alexandria und Kairo gegeben hatte - und einige auch für ihn -, spitzt sich jetzt alles auf den ersten Jahrestag der Amtsübernahme, den Sonntag, zu. Beide Lager scharen ihre Aktivisten hinter sich - ähnlich wie vor einem halben Jahr, als es um die neue, stark islamisch geprägte Verfassung ging. Bisher sind zwei Todesopfer als Folgen des Aufeinandertreffens beider Lager auf der Straße zu beklagen. Gemessen an der Gesamtzahl der Opfer politisch motivierter Gewalt der vergangenen zwei Jahre darf man das als glimpflich bezeichnen.

Das Gefährliche an der Situation ist momentan wohl ihre Ausweglosigkeit. Mursis öffentliche Reden der jüngsten Zeit schwanken in ihren Grundaussagen zwischen Drohen und Versöhnen, schon das ein Zeichen von Konzeptionslosigkeit und Schwäche. Seit dem international honorierten Erfolg bei der Vermittlung eines Waffenstillstandes zwischen Israel und den Palästinensern in Gaza im Herbst sinkt Mursis Stern. Die konträren Positionen zu einigen Kernpassagen der neuen Verfassung vermochte er nicht anzunähern. Von dem versprochenen »nachbereitenden Dialog« war bislang nichts zu hören. Der Konflikt flaute zwar ab, war aber nur scheinbar beendet und flammt bei jeder Gelegenheit wieder auf; zuletzt bei der Verkündung der Todesurteile gegen die vermeintlich Schuldigen des Massakers in einem Fußballstadion.

Aber auch die Opposition hat keine klare Strategie. So berechtigt ihre Forderungen nach demokratischen Freiheitsrechten erscheinen mögen, so wenig ist sie offenbar in der Lage, die von islamischen Lebensgrundsätzen geprägten Bevölkerungsmehrheit für ihre Vorstellungen zu gewinnen. Wohl deshalb vermeidet die Opposition die Formulierung politischer Ziele und zentriert ihre Kritik auf Mursi als Person. So forderte am Donnerstag der Friedensnobelpreisträger und Chef der oppositionellen Nationalen Rettungsfront, Mohamed el-Ba᠆radei, nach einer Rede Mursis an die Nation die Forderung nach einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl.

Mursi hatte laut AFP erneut einen »nationalen Dialog« versprochen und vor »Lähmung« und »Chaos« angesichts der »Polarisierung« im Land gewarnt. Auch räumte er ein, »viele Fehler« gemacht zu haben. Doch Baradei lehnte das Dialogangebot Mursis ab.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat sich besorgt über die Lage in Ägypten geäußert. Aus seiner Sicht, zitiert ihn AFP, handle es sich um eine »absolut wichtige Stunde der Bewährung« im politischen Wandel des Landes. Der Außenminister forderte alle Akteure und Parteien in Ägypten auf, jeglichen Gewaltausbruch zu verhindern. Ägypten brauche vor allem Reformen, damit die wirtschaftliche Lage sich bessere und die Menschen eine »echte Zukunftsperspektive« bekämen. Tagesthema Seite 2

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.