Linkspartei debattiert über Kurs gegen Jugenderwerbslosigkeit
In Deutschland knapp eine Million unter 35 Jahren ohne Stelle / Zahl der jungen Menschen ohne Arbeit im Euroraum steigt weiter
Berlin (nd). Vor dem Hintergrund der hohen Erwerbslosigkeit unter Jugendlichen in Europa ist in der Linkspartei eine Diskussion über die politischen Konsequenzen entfacht worden. Äußerungen der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht in der »Welt« stießen dabei zunächst auf Widerspruch in den eigenen Reihen. Die Bundestagsabgeordnete war mit den Worten zitiert worden, »bevor wir Talente aus anderen Ländern abwerben, müssen wir eine Ausbildungsoffensive in Deutschland starten und die verlorene Generation ausbilden«.
Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch sagte demgegenüber der »Mitteldeutschen Zeitung«, seine Partei werde »nicht arbeitslose Jugendliche in Griechenland, Spanien und Deutschland gegeneinander ausspielen«. Die Politik von Kanzlerin Angela Merkel habe »die chaotischen Verhältnissen in den südeuropäischen Ländern hervorgebracht. Es gibt daher auch eine deutsche Verantwortung«, so Bartsch. Ähnlich äußerte sich der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich. Er »verstehe jeden Südeuropäer, der wegen der deutschen Kürzungspolitik daheim keine Perspektive sieht. Deswegen kämpfen wir dagegen, freuen uns aber auch über jeden, der hier leben und arbeiten will«, sagte Liebich dem Blatt.
Im Internet fielen die Reaktionen auf Wagenknechts Äußerungen teils noch kritischer aus. In der »Berliner Zeitung« war sogar davon die Rede, dass die Politikerin »die Linke auf rechts« drehen wolle. Gegenüber »nd« wies Wagenknecht dies zurück und sagte, »wir sind für offene Grenzen in Europa«. Aber Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler wolle »etwas ganz anderes. Erst treiben deutsche Regierung und Troika die Wirtschaft in den Krisenländern in eine dramatische Krise und zerstören Millionen Arbeitsplätze, und dann sollen die talentiertesten Jugendlichen nach Deutschland abgeworben werden. Das ist Migration aus Not, und genau das falsche Rezept.«
Der FDP-Politiker Rösler hatte am Wochenende Jugendliche in den von der Krise am stärksten betroffenen Ländern in Südeuropa dazu aufgefordert, eine Berufsausbildung in der Bundesrepublik aufzunehmen – und später auch hierzulande zu arbeiten. Die »Tür für junge Südeuropäer steht auf, sie sind willkommen. Wir müssen deutlich machen, dass sie die Perspektive haben, als Fachkräfte zu bleiben«, so der Minister.
Wagenknecht forderte stattdessen »ein europaweites Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit«. Wer den jungen Menschen in den von der Krise gebeutelten Staaten wirklich helfen wolle, müsse diesen Ländern zudem »einen wirtschaftlichen Neustart ermöglichen. Sie brauchen Investitionshilfen statt Bankenrettungsmilliarden«. Mit Blick auf Röslers Äußerung, hierzulande seien Zehntausende Ausbildungsplätze nicht besetzt, sagte die Linkenpolitikerin, »zur Wahrheit gehört auch, dass die deutschen Unternehmen in keinem Jahr seit der Wiedervereinigung ausreichend Ausbildungsplätze geschaffen haben, um allen Schulabgängern eine Lehrstelle anbieten zu können«.
Linken-Vorstandsmitglied Dominic Heilig warnte vor Verkürzungen in der Debatte und sagte, seien Partei lehne »mitnichten Lehrstellen für Südeuropäer ab«, wie es in Medien zum Teil gemeldet worden sei. Stattdessen spreche man sich »für offene Grenzen in Europa und nach Europa aus« – fordere aber zugleich »eine strikte Kehrtwende in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in ganz Europa«. Fakt sei, so Heilig weiter, dass auf dem Kontinent »eine perspektivlose Generation« heranwachse, und zwar »in Südeuropa wie in Deutschland. Das ist das Problem und nicht die Frage, in welchem Land der EU welcher Jugendlicher welcher Nationalität einen Ausbildungsplatz erhält.« Seine Partei trete dafür ein, »dass jeder Jugendliche, europaweit, eine Perspektive erhält, deren Beginn meist in einer Ausbildung mit einem Einkommen liegt, von dem man leben kann«.
Linksfraktionschef Gregor Gysi erklärte im Sozialen Netzwerk Facebook, natürlich müsse »jeder junge Mensch, der bei uns lernen und arbeiten möchte und kann, willkommen sein«. Das »Vergiftete an Röslers Vorschlag« sei jedoch, »dass ausgerechnet die Krisenpolitik dieser Bundesregierung maßgeblich die Zustände mitverantwortet, durch die junge Menschen im Süden Europas keine Ausbildungsplätze und Jobs in ihrer Heimat finden«. Gysi forderte eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik der Europäischen Union. »Dann könnte Frau Merkel nicht länger schwächeren EU-Partnern ihre falsche Politik diktieren.«
In der Bundesrepublik waren nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit im Mai knapp eine Million Menschen unter 35 Jahren erwerbslos. Die Hälfte davon hatte keine abgeschlossene Berufsausbildung. Wagenknecht wies darauf hin, dass die Linkspartei seit Jahren fordert, »dieser Jugendlichen durch eine Ausbildungsoffensive eine Zukunftsperspektive in qualifizierten Arbeitsplätzen und existenzsichernden Löhnen zu geben«.
Unterdessen meldete die Europäische Statistikbehörde Eurostat neue Daten zur Jugenderwerbslosigkeit. Danach waren im Mai in der EU über 5,5 Millionen Menschen unter 25 Jahren ohne Stelle, das waren etwas weniger als noch vor einem Jahr, die Quote lag aber immer noch bei 23 Prozent. Im Euroraum stieg die Zahl der erwerbslosen Jugendlichen dagegen im Jahresvergleich um rund 60.000 auf über 3,5 Millionen an, die Quote betrug hier 23,8 Prozent.
Am schlimmsten betroffen sind Griechenland, wo fast 60 Prozent der unter 25-Jährigen erwerbslos waren, Spanien mit einer Jugenderwerbslosenquote von 56,5 Prozent sowie Portugal (über 42 Prozent). Am geringsten ist die Erwerbslosigkeit unter jungen Europäern dagegen in der Bundesrepublik (7,6 Prozent), in Österreich (8,7 Prozent) und den Niederlanden (10,6 Prozent).
Nach Angaben der Bundesagentur bedeutet eine Jugenderwerbslosenquote von 50 Prozent allerdings nicht, dass jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit ist. »Sondern sie sagt aus, dass jeder zweite, der arbeitet oder arbeiten will, einen Job sucht.«
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