Bremer Bandagen
Für Rot-Grün in der Hansestadt ist Halbzeit - in der Koalition knirscht es häufiger als früher
Bremen. Regieren in Bremen muss auch schon mal einfacher gewesen sein. Zur Mitte der Wahlperiode blicken SPD und Grüne auf zwei Jahre voller Probleme zurück und stehen einem wachsenden Spardruck gegenüber. Dabei geraten beide Parteien, die mit Zwei-Drittel-Mehrheit regieren, häufiger und heftiger aneinander als in den ersten vier Jahren ihrer Zusammenarbeit.
Das mag auch daran liegen, dass im traditionell links orientierten Bremen eine ganz neue Art großer Koalition regiert: Die CDU ist nach zermürbenden Querelen nur noch drittstärkste Kraft, der kleine grüne Koalitionspartner der SPD mit mehr als 22 Prozent entsprechend selbstbewusst. Die CDU hält das Bündnis für völlig zerstritten und weitgehend handlungsunfähig. »Die Wahlversprechen von 2011 werden nicht gehalten. Es herrscht Stillstand, Misstrauen untereinander und Schönfärberei«, urteilt Landeschef Jörg Kastendiek. Die LINKE wirft der Koalition unsoziale Politik vor und fordert höhere Ausgaben. Dabei müssten auch mehr Schulden in Kauf genommen werden.
Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) gaben sich bei der Präsentation ihrer Halbzeitbilanz kürzlich Mühe, Geschlossenheit zu zeigen und versicherten sich gegenseitig ihrer Wertschätzung. Beide pflegen einen unterschiedlichen Stil. Linnert, die den Weg der Haushaltssanierung bei Bedarf auch mit harten Bandagen verteidigt, greift schon mal zu ruppigen Bemerkungen. Zuletzt beim Protest höherer Beamter gegen eine Nullrunde beim Gehalt, den sie als »Kindergarten« vom Tisch wischte und sich hinterher dafür entschuldigen musste.
Böhrnsen dagegen erleben die Menschen in Bremen und Bremerhaven stets als gelassenen Hanseaten. Selbst deutliche Verärgerung, wie zuletzt über seinen grünen Umweltsenator Joachim Lohse, findet ihren Weg nur indirekt in die Öffentlichkeit.
Das wöchentliche Gespräch der beiden Koalitionschefs sei ein fast heiliger Termin, sagt Böhrnsen. Er gibt sich überzeugt, dass politische Bündnisse meist nicht am inhaltlichen Streit scheitern, sondern weil Menschen nicht mehr miteinander könnten. Linnert sagt: »Das sind nie Liebesheiraten, Regierungsbündnisse leben davon, dass man menschlich korrekt und wertschätzend miteinander umgeht, und das gelingt uns beiden auch in besonderem Maße.«
Böhrnsen regiert seit 2005 an der Weser und denkt nicht ans Aufhören. »Ich habe Freude an meinem Amt und sehe nicht, dass ich diese Freude alsbald verlieren werde.« Die Mitte der Legislatur sei aber kein geeigneter Zeitpunkt, sich über Pläne nach der Wahl 2015 zu äußern, sagt der 64-Jährige.
Trotz aller Probleme, etwa bei der Lehrerversorgung, dem Ausbau der Kinderbetreuung, bei der Sanierung der städtischen Krankenhäuser oder bei Infrastrukturprojekten wie dem Offshore-Terminal in Bremerhaven, hat das kleinste Bundesland die ersten Etappen auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2020 geschafft. Weil der Stabilitätsrat in Berlin Vertragstreue bei der Haushaltskonsolidierung bescheinigte, flossen pro Jahr 300 Millionen Euro Sanierungshilfe von Bund und Ländern.
Bis Bremen aber darangehen kann, seinen Schuldenberg von mehr als 19 Milliarden Euro abzutragen, muss der Senat weiter kräftig sparen. Wie unbeliebt das machen kann, konnte Rot-Grün im Frühjahr bei wochenlangen Protesten der Landesbeamten wegen reduzierter oder ganz ausfallender Tariferhöhungen erleben.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.