Deckel drauf
Deutschlands größte radioaktive Deponie liegt im Osten Thüringens - in dicht besiedeltem Gebiet
Seelingstädt. Mehr als 20 Hektar groß ist der See und am Ufer waten Wildgänse. Was für Betrachter fast idyllisch wirkt, treibt Wismut-Projektleiter Ludwig Heyne Sorgenfalten auf die Stirn. Denn der See gehört zu einer der Altlasten, die der rücksichtlose Uranabbau zu DDR-Zeiten in Thüringen und Sachsen hinterlassen hat. Experten sprechen von industriellen Absetzanlagen. Das sind Tagebaue, in die Rückstände aus der Uranaufbereitung gepumpt wurden.
Vier solcher Anlagen - Dänkritz und Helmsdorf bei Zwickau in Sachsen sowie Trünzig und Culmitzsch in Ostthüringen - sind in Obhut des Bergbausanierers Wismut. Vor allem Becken A der Anlage Culmitzsch hat sich zu einem Sorgenfall entwickelt. 2015 sollte die Sanierung abgeschlossen sein, jetzt ist von 2023 die Rede.
»Das Problem sind die Starkniederschläge«, erklärt Heyne. Alles Wasser, das auf dem Gelände anfalle, müsse wegen seiner Schadstoffe aufbereitet werden, bevor es in umliegende Bäche abgegeben werden könne. In letzter Zeit habe es immer wieder so viel Niederschläge gegeben, dass die Anlage, die immerhin 300 Kubikmeter pro Stunde schafft, nicht mehr nachkomme. Heyne: »Die Wasserbehandlungsanlage ist das Nadelöhr.« Auch der vorgeschaltete Speicher ist voll. So sammelt sich das Wasser in Becken A und die Arbeiten an der Zwischenabdeckung über dem radioaktiven Schlamm stocken.
Gefährlich feiner Schlamm
Die Uranaufbereitungsanlage in Seelingstädt (Kreis Greiz) ging Anfang der 1960er Jahre in Betrieb und galt als die modernste in der DDR. Bis zum Ende des Uranabbaus wurden dort etwa 110 Millionen Tonnen Erz aus Sachsen und Ostthüringen verarbeitet. Das Uran war für Atomwaffen und Kernreaktoren in der Sowjetunion bestimmt. Die anfallenden Rückstände wurden in benachbarte Tagebaue gepumpt, deren Kapazität mit Dämmen erhöht wurde. Die Anlagen Culmitzsch und Trünzig erstreckten sich laut Wismut auf fast 350 Hektar.
Die Sanierung erfolgt in drei Schritten, wie Heyne erläutert. Zunächst muss das Wasser abgepumpt werden, damit der belastete Schlamm abgedeckt werden kann. »Die Schlämme sind sehr fein und wie Treibsand«, erklärt Heyne. Deswegen kommt darauf Vlies und Geogitter, um die Oberfläche tragfähig zu machen. Darauf wiederum kommt Drainage sowie Kies und Erdmaterial auch aus den umliegenden Halden. Danach werde das Gelände so gestaltet, dass das Oberflächenwasser natürlich abfließt. Weitere Erdschichten als Endabdeckung kommen hinzu. Darauf werden Gras und Bäume gepflanzt.
»Wir machen einen Deckel auf die Schlämme, damit kein Wasser mehr dorthin durchdringt, sondern ganz normal abfließt«, sagt Heyne. Den radioaktiven Schlamm anderweitig zu entsorgen, sei angesichts der Masse nicht realisierbar gewesen. Wie es nach der Sanierung aussieht, lässt sich an der benachbarten Anlage Trünzig besichtigen. An den Halden von Becken A sind kleine Bäume gepflanzt und auf dem Plateau weiden Pferde.
Auch die Arbeiten an der Anlage Dänkritz I sind abgeschlossen, in Helmsdorf schätzt Heyne, dass dies noch bis 2017 oder 2018 dauern werde. In Culmitzsch dagegen steckt die Sanierung an Becken A noch in der ersten Phase fest. Nun sollen sollen rund vier Millionen Euro in einen weiteren Speicher und eine Anlage zur Vorbehandlung von Wasser investiert werden, um die Kapazität der Wasserbehandlungsanlage insgesamt erhöhen zu können.
Frank Lange vom Kirchlichen Umweltkreis Ronneburg ist skeptisch angesichts der ihm bekannten Entwurfsplanung zur Endabdeckung der Anlage Culmitzsch. Immerhin handle es sich hier um Deutschlands größte radioaktive Deponie, deren radioaktives Langzeitpotenzial mit dem des maroden Atommülllagers im niedersächsischen Bergwerk Asse II vergleichbar sei, erklärt Lange. Und das in einem dicht besiedelten Gebiet. Der Experte hält für die Abdeckung dichteres Material als vorgesehen für nötig. So könne das jährliche Versickerungspotenzial um mindestens 90 Prozent verringert werden. Zudem warnt er vor einer anhaltenden Beeinträchtigung des Grundwassers.
Sieben Milliarden Euro
Insgesamt rund drei Milliarden Euro hat die Sanierung der Wismut-Altlasten in Thüringen bisher gekostet, in Sachsen etwa 2,7 Milliarden Euro. Der Gesamtbedarf bis 2040 wird auf gut sieben Milliarden Euro geschätzt. Denn auch nach der aktiven Sanierung muss das Wasser aus Gruben aufbereitet werden, müssen die Anlagen gepflegt werden. Momentan hat der bundeseigene Bergbausanierer noch knapp 1200 Mitarbeiter.
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