Ägypten wartet auf Ablauf des Ultimatums: Präsident setzt auf Konfrontation

Umstrittene Regierung fordert Militär heraus / Über 20 Tote bei gewaltsamen Konflikten zwischen Anhängern und Gegnern Mursis

  • Lesedauer: 3 Min.

Kairo (Agenturen/nd). Ägyptens Präsident Mohammed Mursi hat im Machtkampf mit Opposition und Militär seinen Konfrontationskurs fortgesetzt. In einer nächtlichen Fernsehansprache lehnte er einen Rücktritt erneut ab und betonte, er werde unter Einsatz seines Lebens »weiterhin die Verantwortung« für das Land übernehmen. Die Opposition kritisierte Mursis Festhalten an der Macht, während es in Kairo erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen mit mehreren Toten kam.

»Das Volk hat mich in freien und gleichen Wahlen gewählt«, sagte Mursi im Staatsfernsehen. Die Verfassungsmäßigkeit seines Amtes sei »die einzige Garantie, um ein Blutvergießen zu verhindern«. Er warnte außerdem davor, in eine »Falle« endloser Gewalt zu tappen und rief die Opposition zum Dialog auf.

In einem Beitrag in dem Internetportal Twitter hatte die ägyptische Präsidentschaft am Dienstagabend das Militär aufgefordert, das an ihn gerichtete Ultimatum zur Konfliktlösung zurückzunehmen. Mursi weise jeden Versuch zurück, sich über die Legitimität seines Amtes hinwegzusetzen, hieß es. Der Staatschef fordere daher »die Streitkräfte dazu auf, ihre Warnung zurückzuziehen«.

Am Montagabend hatte das ägyptische Militär der Politik ein Ultimatum gestellt, binnen 48 Stunden die Krise beizulegen, in der das Land angesichts von Massendemonstrationen und Rücktrittsforderungen an Mursi steckt. Andernfalls werde das Militär selbst einen Fahrplan und Maßnahmen zu dessen Umsetzung verkünden.

Die regierungsnahe Zeitung »Al-Ahram« veröffentlichte auf ihrer Internetseite die groben Linien dieses Fahrplans. Er sieht demnach vor, dass die Verfassung außer Kraft gesetzt wird. Ein Expertenteam soll sich mit der Ausarbeitung eines neuen Textes befassen, der schließlich zur Volksabstimmung gestellt werden soll, wie die Zeitung berichtete. Auch die oberste religiöse Autorität der Sunniten, Al-Ashar, soll den Text absegnen.

Dem Plan zufolge soll außerdem ein Präsidentialrat eingesetzt werden, der die Verwaltung des Landes in einer »Übergangsperiode zwischen neun Monaten bis zu einem Jahr« übernehmen soll. Für diesen Zeitraum soll auch eine Übergangsregierung eingesetzt werden, die unter der Leitung eines Chefs der Armee stehen und »Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vorbereiten« soll.

Die Oppositionskampagne Tamarod (arabisch für Rebellion) kritisierte Mursis TV-Ansprache scharf. Der Staatschef »bedroht sein Volk«, sagte Mohammed Abdelasis von der Kampagne in der Nacht zum Mittwoch im privaten Fernsehen. »Wir betrachten ihn nicht als Ägyptens Präsidenten.« Auch auf dem Tahrir-Platz in Kairo reagierte die dort versammelte Menge wütend und rief »Verschwinde! Wir wollen dich nicht!« Ein Sprecher der oppositionellen Nationalen Heilsfront bezeichnete die Rede Mursis als offenen Aufruf zum Bürgerkriegs. Der Präsident ignoriere die Forderungen des ägyptischen Volkes.

Bei einem Angriff auf Mursis Anhänger in der Umgebung der Universität in Kairo wurden in der Nacht dem Gesundheitsministerium zufolge mindestens 16 Menschen getötet und 200 weitere verletzt. Sie seien mit Schusswaffen attackiert worden, sagte einer der Demonstranten, Mostafa Abdelnasser, der Nachrichtenagentur AFP. Er habe selbst einen Mann weggetragen, der einen Kopfschuss erlitten habe. Im Bezirk Gisa starben ebenfalls sieben Menschen bei Auseinandersetzungen.

Innerhalb von nur einer Woche wurden bei Zusammenstößen zwischen den rivalisierenden Lagern in Ägypten 47 Menschen getötet. Zudem traten fünf Minister zurück, was die politische Krise noch verschärfte.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!