Ein Bündnis zwischen Mob und Elite

Roberto De Lapuente über Rassismus als Motiv deutscher Einheit

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Ob Arbeiter oder Angestellter – viele Menschen dieses Landes glauben, dass Ausländer ihnen den Arbeitsplatz wegnehmen. Höhere Gesellschaftsschichten applaudieren: Die genetische Wettbewerbsfähigkeit der Bevölkerung sei gefährdet. Der Rassismus wirkt klassenübergreifend.

Zwei jüngere Episoden aus meinem Alltag: Eine prekär beschäftigte Person klagt über ihre berufliche Stagnation. Ausländer seien schuld, die nach Deutschland kämen und den Sozialstaat unbezahlbar machten. Wegen denen müsse er prekarisiert schuften. Die andere Episode: Ein Unternehmer spricht von der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Er betont, man dürfe nicht die falschen Menschen ins Land holen, die Leistungskraft nicht geschmälert werden – dieser Ex-Senator aus Berlin hätte schon in die richtige Kerbe geschlagen.

Es ist eine seltsam klassenübergreifende Einheit in Deutschland: Eine Einheit, die sich qua Rassismus und Fremdenfeindlichkeit konsturiert. Ein Interessenabgleich auf primitivster Ebene. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Ausgebeuteter und Ausbeuter finden sich auf einem chauvinistischen Level zusammen, in dem alle eigentümlichen Gegensätzlichkeiten im Antlitz des Fremden aufgelöst werden. Der Fremde, der nach Deutschland kommt, konstituiert diese „klassenlosen Gesellschaft“ unfreiwillig. Die Definition innerer Einheit ist in im heutigen Deutschland ohne Rassismus und Xenophobie nicht denkbar.

Hannah Arendt hat den Nationalsozialismus, in dem sich die Intelligenzia niederster Triebe bedient, als ein „Bündnis zwischen Mob und Elite“ bezeichnet. Auch damals hätten sich die Ressentiments der Masse mit elitären Theorien verbrüdert. Arendt dachte vor allem an ihren alten Weggefährten und Liebhaber Martin Heidegger, der sich seinerzeit im philosophischen Eifer dazu verstieg, dem Nationalsozialismus eine geistige Erneuerung und eine deutsches Daseinszeugnis auf metaphysischer Ebene zu belegen.

Der klassenübergreifende Rassismus ist so ein „Bündnis zwischen Mob und Elite“. Arbeitskraft wird durch Sozialabbau und die Beschneidung von Mitspracherechten für Arbeitnehmer nicht nur lächerlich gemacht, sondern auch immer lächerlicher bezahlt. Immer mehr Menschen arbeiten immer länger für immer weniger Geld. Die Beschwichtigungen der Arbeitsagentur, es gäbe nicht besonders viele Aufstocker, hat sich als Augenwischerei erwiesen. Mittlerweile weiß man, dass zwischen 3,1 und 4,9 Millionen Menschen aus Scham und Unwissenheit ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht wahrnehmen.

Jene Klassen, die sich ökonomisch betrachtet unversöhnlich gegenüberstehen, können sich ganz ohne zähe Vorverhandlungen zumindest auf eines einigen: Die „Fremden“ sind die Hauptschuldige dieser Misere und sie kosten uns das Geld, das eigentlich „für uns“ gedacht war.

Woher kommt er, dieser klassenlose deutsche Rassismus? Der deutsche Einheitsstaat war - anders als der seiner Nachbarn - ein Nachzügler. In England oder Frankreich hatte er seit dem Mittelalter Bestand. Der rassistische Aspekt fehlte in ihren Einigungsprozessen weitestgehend. Die Einigung definierte sich über ein funktionierendes Gemeinwesen und den Stolz auf Rechtssicherheit.

Der deutsche Einigungsprozess hingegen baute deshalb auf rassistischen Nährboden, weil er zu spät ins Leben trat. Die deutschen Länder vor der Reichsgründung brauchten aufgrund ihres historischen Föderalismus einen gemeinsamen Nenner. Den fand man im gemeinsamen Blut, in der gemeinsamen Sprache und auf jenem Boden, auf dem die Germanen als angebliche Urväter durch die Geschichte marschierten. Rassismus wurde zum Motiv deutscher Einheit.

Doch so historisch bedingt die innere Einheit über den Umweg des Fremden auch ist, ist sie auch politisch gewollt. Sie überbrückt Klassengegensätze, unterdrückt „Neiddebatten“ und schafft ein Ventil in diesem System der Ungleichverteilung.

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