Pommesschale als Kopfbedeckung

Demonstranten prangerten die schlechten Verhältnisse in der Bekleidungsindustrie an

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Sonnabendnachmittag am Brandenburger Tor. Die Sonne lässt den Pariser Platz prachtvoll glänzen. Nur ein paar Schritte vom Adlon entfernt steht ein junger Mann. Sein Körper ist komplett grün bemalt und nun werden noch gelbe Punkte an ihm befestigt. Um den Unterkörper trägt er einen schwarz-weiß gemusterten Lendenschurz. Ein paar Schritte weiter gibt eine junge Frau Interviews. Ihr Kleid ist gänzlich aus benutzten Teebeuteln gefertigt: Sonnenschirmchen, Haartuch und ein Collier bestehen aus dem Filterpapier, für das Oberteil wurden die kompletten Beutel übereinander angereiht, der Rock besteht aus Papierverpackungen. Drei Tage habe sie daran gebastelt, erzählt Sandra.

Dutzende weitere Menschen mit ähnlich fantasievollen Kostümen aus altem Verpackungsmaterial, Lampenschirmen oder Plüschtieren laufen über den Platz und posieren bereitwillig für Touristenfotos. Doch der bunte Haufen ist nicht nur zum Spaß hier. Sie treffen sich zur »Butt and Better«-Demo, zum Protest gegen die Zustände in der Modeindustrie. Vom Pariser Platz aus ziehen die Demonstranten zum ehemaligen Tempelhofer Flughafen, wo wenige Tage zuvor noch die Modemesse »Bread and Butter« Tausende Besucher anzog. »Was während der Berlin Fashion Week so glamourös inszeniert wird, ist für uns Fashion Terror«, sagt Mitinitiator Sascha Müller. Dazu gehören die massive Ausbeutung der Arbeiter mit Zwangsüberstunden, katastrophale Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen, Kinderarbeit und Löhne, die nicht zum Überleben reichen. Diese Missstände prangern die Initiatoren an. Über 1400 Tote seit 2012 in den Textilfabriken Südasiens zählt die Kampagne für Saubere Kleidung. »Die kommen doch alle vom Fusion Festival und wollen nachfeiern«, so eine Passantin. Doch der Eindruck täuscht. Auch wenn die Menschen mit ihrer Musik und den alten Lkw mehr wie eine fröhliche Party wirken, haben sie nichts mit dem Festival zu tun.

»Fair ist Trend« hat das kleine Mädchen auf sein improvisiertes Kostüm, zu dem eine Pommes-schale als Kopfbedeckung gehört, geschrieben. Taissa ist zusammen mit ihrer Mutter Lilli Weber gekommen, die zufällig im Internet auf die Veranstaltung stieß. Dorothee Decker hat sich zusammen mit einigen Mitstreiterinnen als Putzkräfte verkleidet. Sie schwenken Staubwedel und halten ein Transparent in die Höhe: »Made in Hell - hergestellt im rechtsfreien Raum« steht darauf. Es ist im Stil einer Textilwaschanleitung gestaltet und weist auf die Produktionsbedingungen hin. »Wir wollen mit den unerträglichen Zuständen in der Modeindustrie aufräumen«, sagt Decker, die bei Kampagne für Saubere Kleidung engagiert ist.

Unter den Linden zieht der Demonstrationszug mit einigen hundert Teilnehmern und starker Polizeibegleitung in Richtung Friedrichstraße. Vor dem Kaufhaus Galeries Lafayettes stoppt der Zug. »Die Fabrikbesitzer in Südasien sind damit beschäftigt, die Produktion am Laufen zu halten. Die Interessen der Arbeiterinnen gehen denen am Arsch vorbei«, sagt eine Rednerin und fragt: »Warum müssen erst Menschen sterben, bis sich etwas ändert?«

Der Hauptgrund liegt im Preisdruck der europäischen Textilfirmen. Bei der typischen Kalkulation eines T-Shirts für den europäischen Markt machen die Löhne in der Produktion nur etwa ein Prozent des Endverkaufspreises aus, rechnet die Kampagne für Saubere Kleidung vor. Der Zug zieht weiter die Friedrichstraße entlang. Bis nachhaltige Änderungen eintreten, wird wohl noch oft demonstriert werden müssen.

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