Spreeufer für alle – vor allem für Investoren
Mediaspree – eine Berliner Geschichte von Protest, seinem Erfolg und dem dennoch stattfindenden Ausverkauf der Stadt
»Mediaspree« war seit dem Jahr 2000 ein Zusammenschluss mehrerer Immobilienentwickler und Eigentümer_innen von Grundstücken entlang der Spree zwischen Jannowitzbrücke und Oberbaumbrücke. Über eine gemeinsam bezahlte PR-Kampagne riefen sie die Spreeufer als Tummelplatz der prosperierenden Medienindustrie aus, um den Brachflächen und leer stehenden Industriegebäuden einen attraktiven Marketing-Stempel aufzudrücken. Die Berliner Wirtschaftsförderung gab Millionen dafür aus, die Plattenfirma »Universal Music« 2002 von Hamburg an die Spree zu holen. Später folgten die Fernsehsender MTV und Viva. Mit der Planung der O2-Halle wurde in der Lokalpresse der Beginn einer Neubaudynamik herbeigeschrieben.
Zur gleichen Zeit zeigten sich im Kreuzberger Wrangelkiez erste Anzeichen einer beginnenden Aufwertung. In der Schlesischen Straße vergab das Quartiersmanagement Wrangelkiez ab 2003 leer stehende Läden an Galerien und andere Kreativlinge und finanzierte ein Geschäftsstraßenmanagement mit den Ziel der »Aufwertung der Wrangelstraße zur Einkaufs- und Flaniermeile, nicht nur für die Anwohnerinnen und Anwohner«. Mit der Attraktivität des Kiezes begannen die Mieten zu steigen.
Vielen Bewohner_innen von Friedrichshain und Kreuzberg stieß außerdem unangenehm auf, dass »Mediaspree« die Spreeufer in sterile Bürolandschaften verwandeln sollte. Die ersten Betroffenen, die »Mediaspree« als eine existenzielle Bedrohung wahrnahmen, waren Freund_innen des Wagenplatzes »Schwarzer Kanal« und des Hausprojekts »Köpi«. Auf Ablehnung stießen auch die Pläne für die O2-Halle. Sie wirkte in den veröffentlichten Entwürfen monströs gegenüber dem benachbarten Friedrichshainer Kiez.
Das »Mediaspree«-Gebiet war auch ein Schauplatz der Privatisierung öffentlicher Güter: Waren die zuvor noch in der Hand öffentlicher Betriebe gewesen – seien es die Hafenbetriebe BeHaLa, die Stadtreinigung BSR oder (vormalige) Bundesbehörden wie Bahn, Post und Treuhand –, sollten die Ufergrundstücke nach dem Verkauf Baugrund für private Unternehmenssitze werden.
»Mediaspree versenken!« organisierte ab 2006 zahlreiche Veranstaltungen, um kritisch über die Bauvorhaben entlang der Spree zu berichten. Das Thema wurde auf Demonstrationen getragen und eigene »Kiezspaziergänge« durchgeführt. Öffentliche Anlässe wurden als Bühne des Protests genutzt, seien es Informationsveranstaltungen zu Planungsverfahren, Pressetermine der Immobilienentwickler_innen oder Baueröffnungen.
Ein großer Teil der Bevölkerung konnte sich mit den zentralen Inhalten des Protests identifizieren, ging es doch gegen Privatisierungen, die Versiegelung grüner Uferbereiche und ein Dutzend zusätzlicher Hochhäuser – also um die Umstrukturierung ganzer Stadträume entlang von Investoreninteressen. So lag es nahe, das noch recht neue Instrument des Bürger_innenbegehrens als Mittel des Protests zu nutzen. Das Bürger_innenbegehren »Spreeufer für alle!« forderte einen 50 Meter breiten Uferstreifen, der nicht neu bebaut werden dürfte und den Verzicht auf Hochhäuser sowie auf neue Autobrücken über die Spree. Die vielen tausend Gespräche, die bei der Unterschriftensammlung auf der Straße geführt wurden, waren eine sehr intensive und direkte politische Öffentlichkeitsarbeit. »Mediaspree versenken!« wurde populär, wurde zum Ausdruck des Unmuts über die Kommerz- und Standortlogik der Berliner Stadtentwicklungspolitik, in der die alltäglichen Interessen der ganz normalen Bevölkerung keine Rolle spielten. Unterstützung kam von der Szene der am Spreeufer gewachsenen Strandbars und alternativen Clubs, die alle durch die Neubaupläne in ihrer Existenz bedroht waren. Der Bürger_innenentscheid wurde 2008 mit knapp 30 000 Ja-Stimmen (87 Prozent der abgegebenen Stimmen) ein großer Erfolg. Zum Vergleich: Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung 2006 erhielt Bündnis 90 / Die Grünen, stärkste Partei im Bezirk, nur 1200 Stimmen mehr.
War Mediaspree also versenkt? Der Bezirk wollte die Forderungen in einem Sonderausschuss verhandeln, während der SPD-LINKE- Senat sich weigerte, den Entscheid anzuerkennen. Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer (SPD) sicherte den Grundeigentümer_innen ihre volle Unterstützung zu und kündigte an, Planungs- und Genehmigungsverfahren an sich zu ziehen, sobald der Bezirk es wagen sollte, Baurechte zu beschränken.
Für »Mediaspree versenken« begannen nun die Mühen der Ebene. Was passiert, wenn Aktivist_innen in nahezu einflusslose Ausschüsse gehen? Genau: Das Klein-Klein entlang von Sachzwängen verdrängt nach und nach die politische Brisanz des eigentlichen Begehrens; Enthusiasmus und Bewegungsenergie gehen flöten. So blieb von einer starken und selbstbewussten Bewegung nur ein kleines Häufchen aktiv.
Zumindest war der Marketing-Begriff »Mediaspree« verbrannt. Der gleichnamige Investorenverein löste sich auf. In der Stadtpolitik wird heute lieber von der »oberen Stadtspree« gesprochen. Was aber ist aus den »Mediaspree«-Bauvorhaben geworden? Im Osthafen wurde auch nach dem Bürger_innenentscheid das Ufer schonungslos zugebaut, gerade erst ist dort die Europazentrale von »Coca-Cola« eröffnet worden. Weiter flussaufwärts zieht »Daimler« gerade in ein neu errichtetes Bürohochhaus. Eine Handvoll weiterer Bauprojekte sollte in diesem Jahr begonnen werden. Dass seit dem Entscheid nicht noch weit mehr gebaut wurde, muss nicht am Einfluss der Partizipation gelegen haben, sondern kann auch der zeitweise lahmenden Baukonjunktur geschuldet sein.
Was für ein Glück, dass der Bürger_innenentscheid nicht das einzige Gleis war, auf dem sich »Mediaspree versenken!« bewegte! Bei den Kiezspaziergängen war im Kontrast zu den vor allem städtebaulich anmutenden Forderungen des Entscheids auch das Thema der steigenden Mieten angegangen worden. Vier Monate nach dem Entscheid fand im November 2008 die erste »Mietenstopp«-Demonstration statt. Initiiert worden war sie aus dem »Mediaspree-versenken«-Kreis heraus. Die Kritik an der kapitalistischen Stadtumstrukturierung hatte direkt in das neue große Protest-Thema Berlins geführt: Gentrifizierung, Verdrängung und Verarmung angesichts der steigenden Wohnkosten.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!