Verräter oder Held?
Der Whistleblower Bradley Manning könnte wegen »Unterstützung des Feindes« verurteilt werden
Nach den Schlussplädoyers der Staatsanwaltschaft am Donnerstag und der Verteidigung am Freitag setzte Richterin Denise Lind für Montagmorgen (Ortszeit) einen weiteren Gerichtstermin in der Militärsiedlung an. Das Urteil wird Beobachtern des Unterstützer-Netzwerks zufolge, die den Prozess akribisch verfolgten, »schuldig« heißen. Eine glaubhafte Einschätzung, hat sich der Hauptgefreite Bradley Manning doch in zehn von 21 Anklagepunkten selbst schuldig bekannt. Einer davon lautet »Diebstahl«: das Herunterladen und die Weitergabe von fast 750 000 Dokumenten aus Armeedatenbanken an das Enthüllungsprojekt »Wikileaks«. Dazu zählen Aufnahmen, die ein »Wikileaks«-Team zu dem berühmten Video »Collateral Murder« zusammenschnitt, sowie großteils belanglose oder peinliche Depeschen von USA-Botschaften an ihre Leitstelle in Washington. Allein dafür muss Manning mit bis zu 20 Jahren Gefängnis rechnen.
Entscheidend für das Strafmaß ist aber der Vorwurf »Unterstützung des Feindes« nach Artikel 104 des Militärgesetzes. Darauf bestanden die Regierungsanwälte von Anfang an. Lind ließ die entsprechende Zeugenbefragung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, gegen den Willen der Verteidigung zu. Im Schlussplädoyer am Donnerstag sagte der Militärstaatsanwalt Ashden Fein, Manning sei »entschlossen gewesen, den USA und ihren Kriegsanstrengungen zu schaden«. Zum ersten Mal im Prozess ließ er dabei öffentlich den Begriff »Verräter« fallen. Mannings Hauptverteidiger David Coombs zeichnete seinen Mandanten dagegen am Freitag als naiven Helden, der die Öffentlichkeit von Kriegsverbrechen der USA-Armee in Afghanistan und im Irak informieren wollte.
Wenn die Militärankläger mit ihrer Behauptung, Manning habe den »Feind unterstützt«, letztendlich durchkommen, wird dies erhebliche Auswirkungen auf Journalisten und Medien in den USA haben. Denn damit ließe sich in Zukunft jede Art von investigativer Enthüllung als Verstoß gegen die nationale Sicherheit uminterpretieren. Um die Pressefreiheit sei es dann geschehen, warnt der Enthüller der Pentagon-Papiere während des Vietnamkriegs, Daniel Ellsberg. »Wenn ›Hilfe für den Feind‹ durchkommt, dann werden Journalisten ernsthaft beeinträchtigt bei ihrem Bemühen, potenzielle staatliche Verbrechen zu enthüllen«. Nicht zuletzt werde damit Kritik an der USA-Außenpolitik kriminalisiert.
Für »Unterstützung des Feindes« droht Bradley Manning eigentlich die Todesstrafe. Nur das Signal der Staatsanwaltschaft vor dem Prozess, sie nicht zu fordern, wird ihn vor der Hinrichtung bewahren. Wenn er wegen Artikel 104 verurteilt wird, sieht er aber immer noch einer lebenslangen Haftstrafe entgegen.
Ob die Urteilsverkündung am Montag oder in den kommenden Tagen erfolgt, liegt allein im Ermessen der Richterin. Die 53-Jährige ist eingeschriebenes Mitglied der demokratischen Partei und seit 2004 Militärrichterin. In ihrer Jura-Abschlussarbeit vor 14 Jahren hatte sie sich interessanterweise für mehr Offenheit des Militärs gegenüber der Presse stark gemacht. Während des Prozesses gegen Manning legte sie jedoch sowohl den Medien wie auch der Verteidigung gegenüber eine fast unnachgiebige Haltung zutage. Sie lehnte es ab, das Verfahren auf Staatskosten mitschreiben und veröffentlichen zu lassen. Außerdem blockte sie fast alle Einwürfe und Bedenken der Verteidigung ab. Beobachter sind deshalb der Meinung, dass sie sich um ihrer eigenen Karriere willen um keinen Preis eines Vergehens gegen die »nationale Sicherheit« schuldig machen will. Andere sprechen deshalb von einem Schauprozess im Stil von Guantanamo. Da Lind die Öffentlichkeit scheut, ist wenig über sie bekannt.
Der Urteilsverkündung wird sich bis Mitte August die Phase des Beschlusses des Strafmaßes anschließen. Anklage und Verteidigung haben dazu bereits Listen mit weiteren Zeugen erstellt.
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