Berliner Flughafenkritiker im Visier
Polizisten in Zivil sind bei Versammlungen und Treffen von BER-Gegnern mit dabei
Berlins und Brandenburgs Flughafen- und Fluglärmgegner sind zweifellos renitent. Die Bürgerinitiativen führten auch schon mal Kundgebungen durch vor den Privatwohnungen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit oder des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (beide SPD). Ebenso gehören Blockaden der Flughäfen in Schönefeld und Tegel zu ihrem Repertoire. Doch als besonders gefährlich oder gar gewalttätig sind die Flughafenkritiker bei aller Vehemenz noch nicht aufgefallen. Im Gegenteil: Alle Kundgebungen sind ordnungsgemäß angemeldet und verlaufen immer friedlich.
Dem rot-schwarzen Senat und der Polizei scheint der bürgerlichen Widerstand dennoch beobachtungswürdig zu sein. Aus einer Antwort der Innenbehörde auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Delius (Piraten) geht hervor, dass »Dienstkräfte der Polizei Berlin in bürgerlicher Kleidung im Rahmen ihrer räumlichen Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung« bei einer Vielzahl von Versammlungen mit »BER-Bezug« im Stadtgebiet von Berlin eingesetzt worden sind.
Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) begründet die Einsätze damit, dass es zum Aufgabenbereich der Polizeikräfte gehöre, »Umstände und Geschehensabläufe zu ermitteln, die für die Polizeiführer im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung für die polizeilichen Lage und die Erstellung sowie Aktualisierung eines Lagebildes erforderlich sind, um die Versammlungen vor Störungen zu schützen«.
»Die Antworten lassen den Schluss zu, dass hier gezielt bürgerschaftliches Engagement überwacht werden sollte«, sagt Pirat Martin Delius, der als Vorsitzender des Flughafen-Untersuchungsausschusses selbst viel mit der Thematik zu tun hat. Delius geht davon aus, dass Zivilpolizisten auch bei Bürgerinformationsveranstaltungen und anderen Zusammenkünften dabei sind. »Sonst hätte die Innenbehörde das explizit ausgeschlossen.« Skandalös ist die Beobachtung der Flughafenkritiker für den Piraten vor allem deshalb, weil er keine konkrete Gefahr für öffentliche Stellen und die Flughafengesellschaft erkennen kann.
Delius will nun beim Senat nachhaken, welche Initiativen denn noch alles beobachtet werden. Aus seiner Sicht steht fest: »Wer sich nicht mehr versammeln kann, ohne das polizeiliche Ermittler inkognito eingeschleust werden, der kann auch nicht mehr frei seine Meinung äußern.« Und: »Nicht jeder, der staats- oder regierungskritisch denkt und handelt, ist gleich ein Fall für den Staatsschutz.«
Welche Abteilungen bei den Behörden mit der Beobachtung der Flughafengegner betraut sind, will die Berliner Polizei nicht sagen. Man habe der Beantwortung der Kleinen Anfrage nichts hinzufügen, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage. In der Antwort auf die Kleine Anfrage verweist Innenstaatssekretär Bernd Krömer auf die Frage nach möglichen Gründen für die Beobachtung darauf, dass im Zusammenhang mit Versammlungen mit »BER-Bezug« Ermittlungsverfahren eingeleitet worden seien – unter anderem wegen des Verdachts der Körperverletzung, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und des Landfriedensbruchs.
Bei der Friedrichshagener Bürgerinitiative kann man eine Überwachung zwar nicht konkret bestätigen, wirklich verwundern würde es Joachim Quast vom Sprecherrat der Initiative jedoch nicht. »Da sich die Menschen von Horch und Guck gut zu kleiden wissen, kann man das schwer sagen«, erklärt er.
Bei den hartnäckigen Flughafengegnern vom Bürgerverein Brandenburg Berlin (BVBB) dagegen weiß man seit Jahren, dass man im Visier der Behörden steht. Vizevorstand Gernut Franke kann sich noch gut an eine Veranstaltung 2002 in Mahlow erinnern, bei der auf einem Privatgrundstück die Lautstärke des Fluglärms demonstriert werden sollte. Die Polizei wollte das verhindern. Als klar war, die Demonstration ist legal, zogen sich nicht nur die uniformierten Polizisten zurück, sondern auch zwei Herren in Zivil, die sich mit auf dem Grundstück aufhielten, erinnert sich Franke, der bezüglich ziviler Behördenmitarbeiter noch mehr Beispiele aufführen kann. Der Bürgerverein behauptet überdies, dass seine Website und E-Mails mitgelesen werden.
Für Uwe Hiksch, den Vizevorsitzenden der Naturfreunde Berlin, die gegen die Flugrouten geklagt haben, sind die Antworten des Innensenats auf die Fragen zur Überwachung »politisch nicht akzeptabel«. »Demonstrationen und Veranstaltungen der Flughafengegner mit zivilen Einsatzkräften zu überwachen, zeugt von einem Demokratieverständnis aus der Zeit des Kaiserreiches.« Innenstaatssekretär Krömer versuche mit dem Argument, dass »Umstände und Geschehensabläufe« ermittelt werden müssen, den friedlichen Protest gegen den Flughafenneubau zu kriminalisieren. »Diese Form der Überwachung muss sofort eingestellt werden«, fordert Hiksch.
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