Arbeitslosigkeit als Wettbewerb
Langzeitstudie der Uni Jena beschäftigt sich mit den Folgen von Hartz IV
Der Saal auf dem Gelände des Berliner Pfefferbergs ist gut gefüllt, als Klaus Dörre am Dienstagabend das Podium betritt. Der Jenaer Professor für Soziologie hat zusammen mit seinem Team im Rahmen einer Langzeitstudie untersucht, wie sich »Erwerbsorientierungen und Handlungsstrategien der Betroffenen« in Ost- und Westdeutschland durch Hartz IV verändert haben. Nachzulesen ist das in seinem nun erschienenen Buch »Bewährungsproben für die Unterschicht?«. Die Studie sei ein Versuch, »die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen«, so Dörre. Über sieben Jahre habe man dafür Hartz-IV-Bezieher mehrfach befragt.
Dörre und sein Team interessierte dabei vor allem, ob es tatsächlich gelingt, »die Betroffenen so zu formen, dass sie sich dem Arbeitsmarkt anpassen«. Sprich: Haben die Hartz-Reformen das gebracht, was sie bringen sollten. Dörre erinnerte an einen Satz von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Dieser hatte auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos verkündet: »Wir wollen den modernsten Niedriglohnsektor der Welt schaffen.«
Zumindest dieses Ziel scheint erreicht. In Deutschland werde »prekäre Vollerwerbsarbeit« zum Normalfall, konstatierte Dörres. Reguläre Arbeitsverhältnisse würden zunehmend durch Leiharbeit, Teilzeit und Minijobs ersetzt. So habe sich an der sozialen Situation der Befragten von Dörre innerhalb von sieben Jahren kaum etwas verändert. Selbst wenn die Betroffenen wieder Arbeit fanden, etwa im Reinigungsgewerbe. »Viele strampeln sich ab, landen aber schließlich wieder da, wo sie starteten«, beobachtete Dörre. Der Fachmann spricht hier von »zirkularer Mobilität«.
Die beabsichtigte Schaffung eines Niedriglohnsektors scheint also geglückt. Auch weil das System die Arbeitslosen nun aktiviert, wie viele glauben. Doch die Jenaer Forschergruppe musste nach zahlreichen Interviews feststellen, dass die Aktivierung nicht so funktioniert, wie allgemein angenommen. Laut Dörre könne von fehlendem Aufstiegswillen und mangelnder Arbeitsmoral keine Rede sein kann. Der Soziologe schätzt, dass weniger als zehn Prozent »bewusste Nicht-Arbeiter« sind.
Hartz IV funktioniere anders. »Erwerbslosigkeit wird als Wettbewerb organisiert«, so Dörre. Und die Jobcenter-Mitarbeiter spielen hier die Schiedsrichter. Dieser Wettbewerb diszipliniere und stigmatisiere zugleich. Wer jahrlang im Leistungsbezug lebe, werde als »Angehöriger einer Minderheit wahrgenommen«. Die meisten Betroffenen täten deshalb alles, um im sozialen Umfeld nicht als Hartz-IV-Bezieher erkannt zu werden. Das System »aktiviert kaum, dafür werden Menschen unter die Schwelle der Respektabilität gedrückt«, so Dörre.
Die Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, sprach von einer »Zunahme der Angstkultur« durch Hartz IV. Zudem hätte sie in Bundestagsdebatten immer wieder beobachten müssen, dass man einen Keil zwischen Erwerbslose und Beschäftigte treibe. Der Keil sitzt bereits tief. Dörre berichtete von einer Befragung in einem süddeutschen Autowerk. Dort hätten 52 Prozent der Arbeiter der Aussage zugestimmt, dass der Staat nicht jeden mitnehmen könne.
Inge Hannemann, »Hartz-IV-Rebellin« und derzeit freigestellte Sachbearbeiterin in einem Jobcenter, machte darauf aufmerksam, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) hier mitspiele. »Man suggeriert dem Bürger, die BA agiere im Sinne der Steuerzahler.« Die Behörde wacht darüber, dass Arbeitslose für das steuerfinanzierte Hartz IV auch Gegenleistungen bringen.
»So spielt man die Klassen gegeneinander aus«, fasste Dörres zusammen.
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