Wenn Schuster bei ihren Leisten bleiben

Der Fall Pirmasens in Rheinland-Pfalz

  • Sandra Schipp, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Arme Stadt, reicher Landkreis - das ist heutzutage eher die Regel als die Ausnahme. Die Unterschiede zwischen der Südwestpfalz und der Stadt Pirmasens (Rheinland-Pfalz) sind jedoch besonders gravierend. Ursache sind unter anderem die unterschiedlichen Bildungsstandards.

Pirmasens. Der Stadt Pirmasens könnte es eigentlich ziemlich gut gehen: Die Wirtschaft floriert, es entstehen Jobs. Doch bei den Bewohnern kommt der Wohlstand nicht an. Die Stadt gilt als arm, ihre Pro-Kopf-Verschuldung ist die höchste im Land. Im Gegensatz zum Landkreis Südwestpfalz, der die Stadt umgibt und der bis vor ein paar Jahren sogar schuldenfrei war. Dort gibt es zwar kaum Arbeitsplätze, aber auch kaum Arbeitslose - den vielen Pendlern sei dank, die jeden Tag in benachbarte Städte wie Pirmasens fahren.

Bei der Arbeitslosenquote hält Pirmasens den landesweiten Negativrekord: Im Juli betrug sie 13,1 Prozent. Dagegen lag der Kreis im gleichen Zeitraum mit einer Quote von nur 5,0 Prozent im guten Mittelfeld. In Pirmasens stünde theoretisch für die Hälfte aller Bewohner ein Arbeitsplatz zur Verfügung, sagt Oberbürgermeister Bernhard Matheis (CDU). Das sei für eine Stadt dieser Größenordnung sehr viel. Im Landkreis liege diese Quote nur bei 13 Prozent, so niedrig wie sonst nirgendwo in Westdeutschland.

Der Faktor Bildung

Dass es Unterschiede zwischen Stadt und Land gebe, sei normal. »Aber diese gravierenden Unterschiede sind ein Sonderfaktor hier in der Region«, sagt Matheis. Das sieht auch der Landkreis so. Allerdings wäre ein direkter Vergleich zwischen Land und Stadt so, als vergleiche man Äpfel mit Birnen, sagt ein Sprecher. Dass die Leute vom Land beim Kampf um die Arbeitsplätze in der einstigen Schuhmetropole die Nase weit vorn haben, erklärt Matheis mit dem Bildungsrückstand, der auch Jahrzehnte nach dem Ende der Schuhmonokultur in Pirmasens noch zu spüren ist.

Bis in die 1990er Jahre gab es in Pirmasens kaum einen Industriezweig, der nicht mit Schuhen zu tun hatte. Für die Jugendlichen war es nicht entscheidend, einen guten Abschluss zu bekommen. Sie wollten möglichst schnell einen Job ergattern und in der Schuhproduktion Geld verdienen. Dadurch entstand eine Bildungstradition, die so gar nicht in die heutige Zeit passt.

Als die erste Globalisierungswelle an die Pirmasenser Monostruktur brandete und eine Firma nach der anderen mit sich riss, verloren viele Pirmasenser ihren Job. Die Arbeitslosigkeit traf sie besonders hart, weil sie nur angelernte Kräfte waren. Zwar war der Strukturwandel bald erfolgreich, doch viele Bewohner verloren den Anschluss - sie hatten nicht die nötigen Abschlüsse in der Tasche.

Heute gibt es wieder viel Industrie in der Stadt. 2012 wurden laut Matheis die höchsten Gewerbesteuereinnahmen verzeichnet, die es je in Pirmasens gab. »Die Wirtschaftskraft hat sich toll entwickelt«, sagt er. »Aber der Umschwung in der Qualifikation der Menschen hat noch nicht in dem Umfang stattgefunden, den wir uns wünschen.« Die Sozialquote ist weiterhin sehr hoch, manche Familien leben schon in zweiter oder dritter Generation von Sozialhilfe. Damit sei eine »erhebliche soziale Verwerfung« verbunden, die zu dem aktuellen Verschuldungsgrad führe, betont Matheis.

Die Stadt steuert mit dem vielfach ausgezeichneten »Pakt für Pirmasens« dagegen, der Kinder von Geburt an so begleitet, dass sie den höchstmöglichen Bildungsstandard erreichen. Er zeigt zwar erste Erfolge, aber bis er seine volle Wirkung entfaltet, wird noch einige Zeit vergehen. »Das ist ein Generationenthema«, sagt Matheis.

Für Neid auf den wohlhabenderen Nachbarn Südwestpfalz sieht der Bürgermeister keinen Grund. »Manchmal wird behauptet, es gebe ein Konkurrenzverhältnis oder Missgunst. Doch das ist schlicht und einfach nicht der Fall«, betont er. Das Verhältnis sei gut. Das bestätigt auch der Sprecher des Landkreises, der einen finanziellen Ausgleich zwischen beiden Seiten ebenso ablehnt wie Matheis.

Momentan habe der Landkreis eigene finanzielle Sorgen, sagt der Kreissprecher. »Bis vor drei, vier Jahren hatten wir keine Schulden, aber irgendwann hat es uns auch erwischt.« Das liege unter anderem daran, dass der Kreis die weiterführenden Schulen übernommen habe und nun bis zum Jahr 2020 rund 50 Millionen Euro investieren müsse.

Der Koch-Vergleich

Für Matheis sitzen die Schuldigen an der Pirmasenser Misere in Land und Bund. Pro Jahr müsse Pirmasens circa 56 Millionen Euro für Sozialleistungen aufwenden, die ihm Land und Bund per Gesetz aufgebürdet hätten - doch von denen bekomme die Stadt nur circa 27 Millionen Euro zurück. Die Differenz mache den defizitären Betrag des Haushaltes aus. »Wenn im übertragenen Sinne derjenige, der die Bestellung aufgegeben hat, auch dafür sorgen würde, dass derjenige, der kocht, die Kosten für das Essen erstattet bekommt, dann wäre Pirmasens schuldenfrei«, meint Matheis.

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