Recht auf Rausch

Tausende demonstrieren bei der Hanfparade

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Das ist keine gute Idee. Der ältere Herr läuft mit entzündetem Joint direkt an einer Gruppe Polizisten vorbei. Die sehen sich zum Handeln gezwungen und nehmen seine Personalien auf. Eine kleine Begebenheit am Rande der Hanfparade, die nicht sonderlich typisch ist: Einerseits kann man Menschen über 50 an einer Hand abzählen, andererseits sieht man eigentlich nur Zigarettenraucher. Rauschmittel der Wahl bei der Parade ist Bier. Die jugendlichen Teilnehmer – 6500 hat der Veranstalter gezählt – sind fast alle mit Flasche in der Hand unterwegs.


Die Menge hat sich vor dem Bahnhof Zoo versammelt, über ein Dutzend Wagen beschallt sie mit Techno und Trance, Reggae ist nur vereinzelt zu hören. Kirmesatmosphäre, noch verstärkt dadurch, dass sich zeitgleich Hertha-Fans vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt am gleichen Ort versammeln. Immerhin durch ihre Trikots kann man sie von den Demonstranten für eine Legalisierung von Cannabisprodukten unterscheiden. »Haschisch erlauben – Plutonium verbieten« lautet die Forderung auf einem Schild. »Bayern will Gras. Statts a Maß« hat jemand anders gereimt. Einige tragen Halsketten aus Plastikhanfblättern, andere lassen sich Hanfblätter auf den Körper malen.


»Die Kriminalisierung von Konsumierenden endlich beenden«, fordert die LINKE auf ihrem Wagen. Auch Piratenpartei und Grüne haben eigene Lkw. »Mach den Dealer arbeitslos« ist der Aufhänger der von den Jungen Liberalen verteilten Flyer. »Das ist keine Politik, das ist Paranoia, das ist Axel Springer«, sagt, nein schreit, Aktivist Markus Berger unter dem Jubel der Teilnehmer über die aktuelle deutsche Drogenpolitik.


Im diesjährigen Sommerloch ist in Berlin die Hanffrage hochgekocht. Anwohner des Görlitzer Parks in Kreuzberg beklagten zunehmend aggressivere Verkaufsstrategien der dortigen Dealer. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) sieht als mögliche Lösung die Einrichtung eines Coffeeshops – im oder vor dem Park. »Das ist schon ernst gemeint. Wir wollen das ernsthaft versuchen«, sagt sie. Ihre Meinung nach ist in den letzten Wochen im Görlitzer Park mit zum Teil täglichen Razzien deutlich geworden, dass das bisherige System zur Verhinderung von Drogengebrauch und Drogenmissbrauch nicht funktioniert. »Es wird viel Geld in etwas gesteckt, was nicht funktioniert«, betont Herrmann.


»Da scheiden sich die Geister«, muss die Bezirksbürgermeisterin allerdings auf die Frage einräumen, ob ein Coffeeshop rechtlich überhaupt möglich sei. Der neue Ansatzpunkt für eine Antragstellung sei der Jugendschutz. »Der Sinn des Betäubungsmittelgesetzes ist, dass Jugendliche überhaupt keine Drogen nehmen.« Beim unkontrollierten Handel sei das überhaupt nicht zu gewährleisten. »Wenn wir dem Gesetz nachkommen sollen, dann müssen wir den Verkauf kontrollieren«, so Herrmanns Argumentation. Sie erinnert an den zähen Kampf um Druckräume, in denen Heroinabhängige sich unter hygienischen Bedingungen die Droge injizieren können. »Auch da gab es viele Menschen, die sich mit Händen und Füßen gewehrt haben.« Ziel sei es, gleich mehrere Verkaufsstellen in Berlin einzurichten, damit sich nicht alles auf den Görlitzer Park konzentriert.


»Eine Einzellösung für den Görlitzer Park ist keine Lösung«, sagt auch der Berliner Landesvorsitzende der LINKEN, Klaus Lederer. Er sieht die Realisierungsmöglichkeiten von Monika Herrmanns Idee sehr skeptisch: »Da wird es keine Genehmigung geben.« Die Sozialisten setzten eher auf die Einführung von Cannabis-Clubs, nicht gewinnorientierten Vereinen, bei denen volljährige Mitglieder den Anbau und die Verteilung für den Eigengebrauch selbst organisieren. »Es muss trotzdem auch über die Flüchtlingspolitik gesprochen werden«, sagt Lederer zur Situation im Görlitzer Park. Durch das Arbeitsverbot für Asylbewerber würden diese förmlich in illegale Beschäftigungen wie eben auch Dealen gedrängt.


Einige Demonstranten auf der Hanfparade forderten auch ein Recht auf Entschleunigung, schließlich führt hoher Cannabiskonsum häufig auch zu einer deutlichen Verlangsamung. Was sich vor Ort durchaus bestätigen ließ: Noch lange, nachdem die Demonstration schon auf dem Weg zum Brandenburger Tor war, trafen immer wieder Gruppen von jungen Menschen am Bahnhof Zoo ein, die sich ärgerten, zu sehr getrödelt zu haben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.