Machen`s halt Ihr Fenster zu!
Roberto de Lapuente über den NSA-Skandal und warum man sich nicht damit abfinden sollte.
Eine nächtliche Party im Nachbarhaus, die mit guten Worten nicht zu beruhigen war, veranlasste mich vor einer Weile dazu, die Polizei zu rufen. Die kam, hörte zu und bestätigte, dass hier ein Vorfall nächtlicher Ruhestörung vorliege. Einer der Polizisten riet mir: »Machen‹s halt ihr Fenster zu.« Ohne Frischluftzufuhr könne ich schließlich genauso schlafen. Und die lärmende Party könne trotz Verstoßes weitergehen.
In den letzten Tagen erinnerte ich mich beim Durchblättern von Zeitungen und Magazinen an diesen Vorfall. Findige IT-Experten und Ratgeber erklärten, wie man sich NSA-sicher machen könne und wie man seine E-Mails richtig verschlüssele, um vor den Geheimdiensten dieser Welt sicher zu sein.
Das halte ich in zweifacher Hinsicht für bedenklich. Erstens, warum nun ausgerechnet der Bürger für die Wiederherstellung seines »Briefgeheimnisses« zuständig sein soll. Zweitens, wieso deshalb der Medienbetrieb nicht viel stärker auf das Ende dieser Praxis hinwirkt, um etwaige Schutzmaßnahmen unnötig zu machen.
Warum spielen sich die Kommentatoren als Polizisten auf, die die Party der NSA nicht sprengen wollen?
»Verschlüsselt Eure E-Mails!« und »Mach das Fenster zu!«: Das sind zwei lapidare Empfehlungen des Einknickens gegenüber denen, die sich nicht an allgemeine Regeln halten.
Natürlich meint es dieser IT-Service gut. Er will helfen. Und es gibt auch manches Medium, das um Aufklärung bemüht ist. Gleichwohl häuft sich, da man sich mit der gängigen Praxis der Aushöhlung der Privatsphäre abgefunden zu haben scheint, eine eitle »Ratgeber-Literatur«. Kryptosoftware wird in den Mittelpunkt gerückt. Plötzlich geht es nicht mehr um den Skandal, sondern um die, von den Geheimdiensten betriebene und von den politischen Verantwortlichen tolerierte, Schweinerei.
In gewisser Weise rät man nämlich nicht nur dazu, seine E-Mails fortan zu kodieren, sondern sich mit dem Status quo abzufinden.
Ähnlich empfand ich es, als vor Jahren diverse Zeitungen über die vielen Möglichkeiten schrieben, um mit dem knappen Hartz IV-Regelsatz so hinzukommen, dass man täglich eine leckere Mahlzeit kochen kann. Hartz IV-Kochbücher und Ratgeber für eine würdevolle Armut mit vollem Bauch kamen dabei heraus. Immer hatte ich den Eindruck, dass man damit auch sagen wolle: »Findet euch doch damit ab, Hartz IV ist nun in der Welt und ihr könnt diesen Umstand nun fressen oder sterben.«
Der Polizist hätte damals auch sagen können, dass ich mich mit dem nächtlichen Lärm, dem Gesang, dem Klirren von Gläsern und dem feuchtfröhlichen Geschrei, abfinden solle. Wer das Unausweichliche und Unveränderbare akzeptiert, der kann ja immer noch sein Fenster schließen oder seine e-Mails chiffrieren. Auf die Idee, dass der Zustand noch wandelbar ist, sollte man aber besser nicht mehr kommen.
Insofern sind die gut gemeinten Ratschläge als Einstieg in einen Abfindungsprozess zu begreifen. »Lernt damit zu leben!«, statt »Wir wollen so nicht leben!« - das ist schlicht gesagt: Psychologisch unkluger Journalismus.
Die Party endete übrigens gegen halb sechs. Ich nehme an, die Fete des Überwachungsstaates wird etwas länger gehen.
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